Christian Stipeldey

Christian Stipeldey

Erzfrachter „Pella“ strandete und brach auseinander

Es ist einer der letzten großen Einsätze des ersten modernen Seenotrettungskreuzers mit Tochterboot: Vor 60 Jahren, in der Nacht zum 2. August 1964, rettet der Seenotrettungskreuzer BREMEN der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in einem dramatischen Nachteinsatz in der Nordsee 25 Seeleuten das Leben.

Westnordweststurm mit schweren Böen herrscht am Vorabend zum 2. August 1964, als der Alarm die DGzRS-Station Amrum erreicht. Der 134 Meter lange Erzfrachter „Pella“ ist im Rütergatt, etwa sieben Seemeilen südwestlich der Insel, gestrandet. Der auf Amrum stationierte Seenotrettungskreuzer BREMEN läuft aus. Anfang der 1950er Jahre war er zum Versuchsfahrzeug umgebaut worden: Erstmals hat er das seither DGzRS-typische Tochterboot an Bord.

Gegen 21.30 Uhr ist die BREMEN vor Ort. Doch der griechische Kapitän der unter libanesischer flagge fahrenden „Pella“ erkennt die gefährliche Lage seines Schiffes nicht an. Er hofft, aus eigener Kraft wieder freizukommen. Die BREMEN macht 30 Meter in Lee des Frachters stand-by, bleibt also in seiner Nähe.

In der Nacht läuft der Doppelboden der „Pella“ voll Wasser. Die Flurplatten des Maschinenraums heben sich bedenklich. Gegen 3.30 Uhr hat die Gezeitenströmung Bug und Heck so weit unterspült, dass es bei halber Tide und auflaufendem Wasser im Rumpf zu knacken beginnt. Zwischen Brücke und Schornstein klafft ein zunächst dünner Riss. Unter Krachen wie von Kanonenschüssen wird er von Minute zu Minute breiter.

Seenotrettungskreuzer in Fahrt auf See

In mehr als 30 gefahrvollen Anläufen rettete der Seenotrettungskreuzer BREMEN die 25-köpfige Besatzung der „Pella“.

Archivfoto: Die Seenotretter – DGzRS

Einer der bedeutendsten Einsätze

Sofort beginnen die Seenotretter, die Besatzung des Frachters zu retten. Die Seeleute sind auf das Vorschiff geflüchtet. Überschüttet von Gischt und Brandungswellen arbeitet sich die BREMEN in schweren Regenschauern immer wieder an das Wrack heran. In der folgenden Stunde gelingt es den Seenotrettern, in mehr als 30 gefahrvollen Anläufen nach und nach die 25-köpfige Besatzung abzubergen. Immer, wenn die BREMEN von einer Welle bis an die Reling der „Pella“ gehoben wird, springen die Seeleute an Deck des Seenotrettungskreuzers – in der ständigen Gefahr, in die tosende See zu stürzen. Doch das scheinbar Unmögliche gelingt. Als die Seenotretter den letzten Seemann der „Pella“ an Bord haben, ist der Frachter hinter der Brücke durchgebrochen. Einziger zu beklagender Verlust ist eine Funkantenne der BREMEN.

Strömung und Brandung versetzen die beiden Teile der „Pella“ rasch. Allmählich versinken sie im feinen Mahlsand. Der dramatische Rettungseinsatz mit der großen Zahl Geretteter geht als einer der bedeutendsten in die Geschichte der DGzRS ein. Die BREMEN wird ein Jahr später außer Dienst gestellt. Die Station Amrum erhält den Seenotrettungskreuzer RUHR-STAHL.

Jahrzehnte später werden die Wrackteile der „Pella“ einem Büsumer Fischkutter zum Verhängnis. Am 16. August 2001 verhaken sich seine Netze, der Kutter kentert, die beiden Fischer müssen ihr Schiff verlassen. Der nun auf Amrum stationierte Seenotrettungskreuzer EISWETTE rettet sie aus der Rettungsinsel.

Heute versieht der Seenotrettungskreuzer ERNST MEIER-HEDDE von Amrum aus den Such- und Rettungsdienst im Revier rund um die Insel und bis weit in die Deutsche Bucht hinein. Er ist das Typschiff der ab 2015 in Dienst gestellten neuen 28-Meter-Klasse der DGzRS. Allein im Jahr 2023 hat die ERNST MEIER-HEDDE 45 Einsätze gefahren und dabei rund 80 Menschen geholfen, 42 von ihnen aus Seenot gerettet oder Gefahr befreit.

Historische Einsätze der Seenotretter

„Papa, komm zurück!“ – Das Unglück der ADOLPH BERMPOHL

1967 verunglückte die ADOLPH BERMPOHL im Orkaneinsatz vor Helgoland – Drei Fischer und vier Seenotretter blieben auf See.

Sturm
Historische Einsätze: Die Seenotretter finden die „Nossan“ im Herbststurm 1954

„Wo bleibt die 'Nossan'?“ fragen sich die Menschen tagelang an der Küste. Der schwedische Frachter verschwindet am 15. September 1954 in der tosenden See in der Deutschen Bucht. Einer der längsten Such- und Rettungseinsätze in der nahezu 160-jährigen Geschichte der Seenotretter beginnt.

Magazin
Untergang der „Teeswood“ vor 70 Jahren

Die Seenotretter der Station Borkum entreißen 1951 in einem der schwersten Einsätze in der Geschichte der DGzRS auf der Nordsee 13 Seeleute der tosenden See.

Historie
Gefangen im Packeis vor Langeoog

Der letzte dokumentierte Einsatz mit einem Ruderrettungsboot der DGzRS gehört zugleich zu den schwersten in ihrer Geschichte. Vor 80 Jahren spielte sich vor Langeoog ein Drama im Packeis ab.

Historie
Im Treibsand gefangen - Rettung aus der Brandung

Von Anfang Dezember bis Anfang Februar 1961/62 wird die deutsche Nordseeküste von schweren Stürmen heimgesucht. Sie gipfeln in einem Orkan. Deiche brechen. Auf einem gestrandeten Frachter sind Menschen in Lebensgefahr.

Historie
Ostsee-Sturmflut 1872

Ostsee-Sturmflut 1872

Sturmflut an der Ostsee: In der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 ereignete sich das schwerste, jemals bekannte Ostseesturmhochwasser. Die Sturmflut betraf nicht nur die deutsche Ostseeküste in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch Dänemark.

Sturm
Die Nacht des Wunders

Die Nacht des Wunders

Eine Monsterwelle reißt den Seenotretter Dieter Steffens von Bord seines Kreuzers. Kann ihn jemand in der Dunkelheit finden?

Sturm
Film: Der Untergang der „Jan Heweliusz“

Am 14. Januar 1993 sank die polnische Fähre „Jan Heweliusz“ im Orkan vor Rügen. Im Film sprechen Seenotretter und Gerettete über einen der herausforderndsten Einsätze in der Geschichte der DGzRS.

Sturm
Seenotretter-Classics

Seenotretter-Classics

Tauchen Sie ein in die Geschichte der DGzRS, seien Sie dabei bei bedeutenden und bewegenden Einsätzen und erleben Sie mit, wie das Zusammenspiel aus erfahrenen Seeleuten und fortschrittlicher Technik seit 1865 stets für das eine große Ziel eingesetzt wurde: Menschen aus Seenot zu retten.

Historie

Werden Sie Seenotretter – mit Ihrer Spende.

Weitere Artikel
SAREx: So trainieren die Seenotretter für ihre Einsätze

Zweimal im Jahr organisiert die DGzRS die realistische Großübung „SAREx“. Wie sich die Seenotretter mit ihren Partnern auf den Ernstfall vorbereiten.

Seenotretter Akademie
Historische Einsätze: Die Seenotretter finden die „Nossan“ im Herbststurm 1954

„Wo bleibt die 'Nossan'?“ fragen sich die Menschen tagelang an der Küste. Der schwedische Frachter verschwindet am 15. September 1954 in der tosenden See in der Deutschen Bucht. Einer der längsten Such- und Rettungseinsätze in der nahezu 160-jährigen Geschichte der Seenotretter beginnt.

Magazin
Verity: Schwere Schiffskollision auf der Nordsee

Es ist eine der größten Such- und Rettungsmaßnahmen der vergangenen Jahrzehnte, koordiniert von der Rettungsleitstelle See der DGzRS: Am 24. Oktober 2023 stoßen zwei Frachtschiffe auf der Nordsee zusammen. Die „Verity“ sinkt unmittelbar nach der Kollision. Zwei der sieben Besatzungsmitglieder überleben. Die Seenotretter sind von einer Dunkelheit bis zur nächsten ununterbrochen im Einsatz.

Seenotfälle