Die Borkumer Seenotretter haben vor 70 Jahren, am 28. November 1951, einen der schwersten Einsätze in der 156-jährigen Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) gefahren. Die dreiköpfige Besatzung des Motorrettungsbootes BORKUM mit Vormann Wilhelm Eilers entriss in größten Anstrengungen und unter Gefahr für das eigene Leben 13 Engländer der tosenden See.
Schwerer Westnordwest-Sturm weht am 28. November 1951 an der deutschen Nordseeküste. Auf Borkum wird gegen Mittag Windstärke 11 gemessen. Wind und Flut stauen das Wasser in der Emsmündung, die See „kocht“. Mittendrin: der englische Dampfer „Teeswood“, ein Küstenfrachter auf dem Weg nach Emden.
Die „Teeswood“ stampft gewaltig in der aufgewühlten See. Schwere Brecher fegen über das Deck. Nur schwer lässt sich das Schiff auf Kurs halten. Allmählich wächst der Sturm zum Orkan an. Ein Umdrehen ist für die „Teeswood“ unmöglich geworden. Sie muss Kurs halten, will der Kapitän das Schiff nicht leichtsinnig in Gefahr bringen.
Schließlich schleudern mächtige Grundseen den Dampfer bei der Mövensteert-Untiefe zwischen Hubertgat und Westerems gleich mehrfach auf Grund. Die Engländer setzten über Funk einen Notruf ab. Daraufhin verlässt das Motorrettungsboot BORKUM der DGzRS den Schutzhafen der Insel Borkum – Nordweststurm und Flut genau gegenan. Die BORKUM trifft im sprichwörtlich letzten Augenblick bei der „Teeswood“ ein: Der Frachter ist kurz zuvor auseinandergebrochen, die Besatzung hat sich bereits auf dem Vorschiff gesammelt.
Die Seenotretter nehmen zahlreiche Anläufe, um jeweils so nah an den Havaristen heranzukommen, dass die Schiffbrüchigen auf die BORKUM überspringen konnten. Ständig sind Boot und Rettungsmänner dabei in Gefahr, auf den Dampfer geschleudert zu werden. Vormann Eilers gelingt es immer wieder, im richtigen Augenblick abzudrehen – und damit das Leben seiner Besatzung zu bewahren.
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Seeleute werden über Bord gewaschen
Einmal jedoch wird das Rettungsboot gegen die Bordwand des Dampfers geschleudert und selbst stark beschädigt. Das Steuerbordruderblatt der BORKUM verhakt sich mit der Ankerkette der „Teeswood“. Das Ruder bricht. Bei dem Manöver wird zudem ein Propeller der BORKUM beschädigt. Dennoch setzen die Seenotretter die Rettungsaktion fort. Es gelingt ihnen unter größten Anstrengungen, 13 Männer der Dampferbesatzung zu übernehmen. Zwei weitere Seeleute werden über Bord gewaschen, noch bevor sie auf das Rettungsboot überspringen können.
Der kurze sachliche Bericht des Vormanns schließt mit den Worten: „Das Rettungsboot BORKUM hat sich auf dieser Rettungsfahrt bestens bewährt.“ Aus der Hand des Schirmherrn der DGzRS, des Bundespräsidenten Theodor Heuss, empfangen Vormann Wilhelm Eilers (39) die goldene, die Rettungsmänner Folkert Meeuw (59) und Christoffer Müller (29) die silberne Medaille am Bande der DGzRS für ihren außerordentlich schwierigen Einsatz unter Gefahr für das eigene Leben.
In doppelter Hinsicht ist der 28. November für die Borkumer Seenotretter ein denkwürdiger Tag: Während die Besatzung der BORKUM 1951 mit 13 Geretteten sicher in den Hafen zurückkehrte, ereilte die Borkumer Seenotretter elf Jahre zuvor ein trauriges Schicksal: Am 28. November lief das Motorrettungsboot HINDENBURG mit sechs Rettungsmännern aus, um nach einem Notruf dem Dampfer „Erika Fritzen“ zu Hilfe zu kommen. Die Seenotretter kehrten nicht zurück, lediglich wenige Wrackteile wurden gefunden. Die genaue Ursache des Unglücks konnte nie geklärt werden. Eine Treibmine oder ein Unterwasserhindernis könnten dem Rettungsboot zum Verhängnis geworden sein.
„Ein Boot ist noch draußen.“ Die Zeichnung über Alma Eilers’ Sofa ist zeitlebens ein Teil von ihr gewesen. So wie die Frauen auf dem Bild, die am stürmischen Strand in wehenden Kleidern auf die glückliche Rückkehr ihrer Männer warten, saß die alte Dame ungezählte Male auf Borkum: Stets hat sie die Ungewissheit begleitet, wenn sich ihr Ehemann Wilhelm als Vormann der Seenotretter in Sturm, Nacht und hohen Seegang hinausgewagt hat, um das Leben anderer zu retten. 2010 wurde Alma Eilers 100 Jahre alt und starb wenig später. Dies ist ihre Geschichte.
März 2010. Wenige Tage vor ihrem 100. Geburtstag sieht Alma Eilers nach vielen Jahren den Ort wieder, der lange Zeit die zweite Heimat ihres Mannes war: Auf dem Seenotrettungskreuzer GEORG BREUSING, gebaut 1963 und seit seiner Außerdienststellung 1988 Museumsschiff im Emder Ratsdelft, werden viele Erinnerungen wach. „Mein Mann hat enorm viel Glück gehabt“, sagt die ungewöhnlich rüstige Seniorin. „Manches Mal war sein Einsatz gefährlich, doch er ist immer gesund zurückgekommen.“
41 Jahre lang fuhr Wilhelm Eilers als Seenotretter, zunächst zehn Jahre als freiwilliger Rettungsmann auf Juist, dann 30 Jahre, von 1945 bis 1975, als fest angestellter Vormann der DGzRS-Station Borkum. Mehr als 1.200 Menschen hat er mit seiner Mannschaft und drei verschiedenen Schiffen gerettet. „Mein Mann war unerschrocken, doch nie leichtsinnig. Aber er hat stets den unmittelbaren Kontakt mit der See und den Naturgewalten gesucht. Einsätze fuhr er grundsätzlich vom oberen, offenen Fahrstand aus“, berichtet Alma Eilers am Ruder der GEORG BREUSING.
Mit der See ist Wilhelm Eilers, gebürtig von der Insel Juist, groß geworden. Sein Vater Bernhard fuhr dort einst als Vormann noch im Ruderrettungsboot. „Nachdem 1940 das Borkumer Motorrettungsboot HINDENBURG vermutlich auf eine Mine lief und sechs Rettungsmänner in den Tod riss, fehlte es dort an erfahrenen Seenotrettern. So kamen wir auf die Nachbarinsel“, erinnert sich Alma Eilers.
Wilhelm Eilers gehört zu den legendären Vorleuten der DGzRS. In die Geschichte des Rettungswerkes ist sein Einsatz für den englischen Dampfer „Teeswood“ eingegangen. Mit dem Motorrettungsboot BORKUM retteten der damals 39-jährige Eilers, sein erfahrener Maschinist Folkert B. Meeuw (59) und der freiwillige Rettungsmann Christoffer Müller (29) am 28. November 1951 bei Orkan und Dunkelheit 13 englische Seeleute – gerade noch rechtzeitig, bevor der Dampfer vollständig sank.
Von den Gefahren, in die sich ihr Mann wieder und wieder begab, bekam Alma Eilers meist nur wenig mit. „Bei der ,Teeswood‘ habe ich den Funkverkehr der Seenotwache am Südstrand mitgehört. Immer wieder geriet das Rettungsboot in den Wellentälern außer Sicht. Das waren bange Sekunden“, erzählt sie. Was sie aber erst später erfuhr: Ihr Mann musste, um die Engländer zu übernehmen, nicht weniger als 20 verwegene Anläufe fahren. Dabei wurde die BORKUM auch einmal stark gegen die Bordwand des Dampfers geschleudert. Das Motorrettungsboot kehrte mit nur noch einem Ruderblatt, einem schwer beschädigten Propeller und verletzter Mannschaft, aber glücklichen Schiffbrüchigen zurück.
Für seinen außergewöhnlichen Mut und das hohe Verantwortungsbewusstsein bei diesen Manövern erhielt Eilers das Bundesverdienstkreuz und die Goldene Rettungsmedaille am Bande der DGzRS. Die meisten seiner Rettungstaten erregten jedoch weitaus weniger Aufsehen, obwohl sie oft nicht minder gefährlich waren. „Nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten in Zeiten der Materialknappheit viele altersschwache Schiffe vor Borkum in Not. Oft ist mein Mann mit seiner Mannschaft im letzten Moment gekommen“, weiß Alma Eilers. Auch später warteten Herausforderungen: Von der berüchtigten „Weißen Bank“ weit nördlich von Borkum etwa holte Wilhelm Eilers in stundenlanger Sturmfahrt einen Fischkutter. Im „Jahr der Stürme“ 1973 schließlich waren es oft zwei, drei schwere Einsätze pro Woche, einmal sogar acht Fischkutter in nur einer Nacht, denen Eilers mit der GEORG BREUSING zur Hilfe eilte.
Der erfahrene Vormann war maßgeblich an der Entwicklung der modernen Seenotrettungskreuzer mit Tochterboot der DGzRS beteiligt. 1957 kam der Urtyp, die THEODOR HEUSS, nach Borkum, 1963 dann die größere und noch leistungsfähigere GEORG BREUSING, auf der Eilers bis zuletzt fuhr. „Sein Rat und sein Wissen waren gefragt bei den Arbeitern auf der Werft. Ein Seenotrettungskreuzer ist eben kein Schiff von der Stange“, erinnert sich Alma Eilers an manche Dienstfahrt ihres Mannes zu den Schiffbaubetrieben an der Unterweser.
An Bord führte der nie zögerliche Eilers ein strenges, aber geachtetes Regiment: „Er ließ gegenüber seiner Mannschaft keinen Zweifel daran, dass er die Verantwortung für sie trug und deshalb das Sagen hatte. Im Ernstfall kam es genau darauf an. Dann wussten alle, dass sie sich auf Wilhelm verlassen können“, erzählt Alma Eilers. Die Liebe zu seinen Schiffen hat Eilers sichtbar gelebt. Zu Reparaturarbeiten war sich der Vormann nie zu schade. Vor seiner Zeit auf großer Fahrt hatte er den Beruf des Malers gelernt. Und so sah man ihn oft mit Pinsel und Farbe bei Ausbesserungsarbeiten an Deck des Seenotrettungskreuzers.
Auf das Bild „Ein Boot ist noch draußen“ über dem Sofa blickte Alma Eilers bis zu ihrem Tod Tag für Tag. Dorthin, nach „draußen“, hat ihr Mann einst auch seine letzte große Reise angetreten. Er wurde 1985 auf See vor Borkum bestattet – in den Wellen, aus denen er so viele Menschen gerettet hat.