Der Vormann der Freiwilligen-Station Juist erinnert sich an einen dramatischen Einsatz vor etwa zwei Jahren: Damals hat er mit seinen Kollegen einen Segelanfänger, der erschöpft, unterkühlt und der Ohnmacht nahe in seinem Segel trieb, aus dem Wasser gezogen. Wenige Minuten später wäre es zu spät gewesen, da ist er sich sicher. Sie hatten wieder mal einem Menschen das Leben gerettet.
Hauke Janssen-Visser hat eine absurd komische Situation im Gedächtnis. Seine Freundin war zunächst irritiert: „Wer ruft dich denn nachts um zwei an und du rennst los?“
Er lacht, als er davon erzählt.
„Seenotretter ist man eben 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.“
Die Freundin trug es mit Fassung – und ist bis heute an seiner Seite.
Verantwortung zu übernehmen, liegt Hauke Janssen-Visser im Blut. „Wir sind durch und durch eine Retterfamilie“, sagt der 33-Jährige. Bereits sein Vater Arend ließ als Vormann von Juist jederzeit alles stehen und liegen, wenn Not am Mann war. Haukes sieben Jahre älterer Bruder „Bröri“ Arend ist der Gemeindebrandmeister. „Wir beide sind die Inselretter“, sagt er mit etwas Stolz in der Stimme. Mutter Martina, die zwei Retter großgezogen hat, durfte die HANS DITTMER taufen, die zehn Jahre ältere Schwester Carina die JUIST, den Vor-Vorgänger des derzeitigen Seenotrettungsbootes.
SEENOTRETTER WERDEN?
Sie fahren raus, wenn andere reinkommen – rund um die Uhr, bei jedem Wetter: unsere aktuell rund 1.000 Seenotretter. Um andere Menschen selbst unter widrigsten Bedingungen aus Not und Gefahr zu befreien, brauchen sie genau wie Hauke Janssen-Visser reichlich Erfahrung, Können und Mut. Sie haben Interesse und möchten sich ebenfalls an Bord unserer Rettungseinheiten engagieren?
Hauke Janssen-Visser ist mittlerweile seit acht Jahren Vormann. Zwölf Freiwillige gehören zur Mannschaft. Zu Beginn, 2014, war er jüngster Vormann der DGzRS: Plötzlich hatte er als „Moses“, als Jüngster der Mannschaft wie es in der Seemannssprache heißt,
das Sagen. Er brachte gute Voraussetzungen mit, trotz seiner erst 26 Jahre hatte er bereits Führungserfahrung: Früh hatte er seinen Meister als Maurer und Betonbauer gemacht, war stellvertretender Betriebsleiter beim Juister Küstenschutz. Einer muss schließlich das Kommando haben – doch was zählt, ist in seinen Augen eindeutig das Team: „Die Mannschaft hat mir sehr geholfen, in die große Aufgabe hineinzuwachsen“, erinnert sich der junge Vormann.
Nicht nur für alle auf See, sondern auch für die Insulaner ist das Seenotrettungsboot eine Institution. Wenn keine Fähre mehr fährt und kein Hubschrauber mehr fliegen kann, ist die HANS DITTMER beispielsweise für plötzlich Erkrankte oder Verletzte die letzte Möglichkeit, von der Insel zu kommen. Der Juister Hafen ist besonders: Anders als die Häfen der Nachbarinseln Borkum und Norderney fällt er bei Niedrigwasser für wenige Stunden komplett trocken. „Dann laufen die Enten ums Rettungsboot“, sagt Hauke Janssen-Visser. Die Insulaner leben damit, stundenweise vom Bootsverkehr abgeschottet zu sein.
„Das Wetter ist uns egal, wir brauchen nur Wasser!“, sagt Hauke Janssen-Visser. Doch im Notfall auf See helfen dann die Rettungseinheiten der nahen Nachbarstationen. Wegen der Tidenabhängigkeit wägt der Vormann bei jedem Einsatz ab, ob die Seenotretter sofort rausfahren oder noch etwas abwarten, je nach Einsatzart und Zielort. „Bei Gefahr für Leib und Leben stellt sich die Frage selbstverständlich nicht. Sobald wir gerade genügend Wasser unterm Kiel haben, fahren wir raus.“ Mit seiner Umsicht und positiven Einstellung hält Hauke Janssen-Visser die Station auf Juist am Laufen – gemeinsam mit seiner Crew.
Die nächste Seenotretter-Generation zeichnet sich schon ab: Seinen siebenjährigen Sohn Domenik hat er bereits zum Spielen mit einem roten Overall eingekleidet. „Er ist Feuer und Flamme für das Seenotrettungsboot“, schwärmt der Vater und meint: „Wenn er möchte und die künftige Mannschaft ihn wählt, wer weiß, vielleicht übernimmt er später mal meinen Platz an Bord.“ Durch und durch Seenotretter-Familie eben.