Sturmflut an der Ostsee
„Allein die Nacht brachte neue Schrecken. Der Orkan raste in verstärkter Gewalt weiter; die Brandung überstieg die Dünen und Hafendämme, durchbrach und zerstörte letztere und überflutete die Stadt und alles Land zwischen diesen und dem Meere…“
Am 12. November 1872 strandete während einer dramatischen Sturmflut vor Swinemünde die deutsche Bark „Friedrich Wilhelm Arnold“. Alle Rettungsversuche waren vergeblich. Die elfköpfige Besatzung kam ums Leben.
Die schwerste Ostsee-Sturmflut, an die man sich heute noch erinnert, liegt erst 150 Jahre zurück. Sie kostete nicht nur die elf Seeleute der „Friedrich Wilhelm Arnold“ das Leben, sondern viele weitere Menschen. Die Sturmflut betraf nicht nur die deutsche Ostseeküste in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch Dänemark. Schwerste Schäden wurden an den Küsten angerichtet.
1873 schrieb dazu die DGzRS in Ihrem Jahresbericht von 1873:
„Das Jahr 1872 ist für die Schifffahrt an den deutschen Küsten verderblicher gewesen, als irgend ein früheres seit dem Bestande unserer Gesellschaft. Wir haben im Ganzen 129 schwere Seeunfälle zu verzeichnen, von denen aber allein 69 auf den Monat November, und zwar 57 allein auf der 12./13. November fallen. An diesem Tage aber war es denjenigen Stationen, welche im eigentlichen Bereiche des Sturmes lagen, unmöglich, den Rettungsdienst wahrzunehmen, glücklich, wenn es ihnen gelang, die Geräte der Gesellschaft einigermassen in Sicherheit zu bringen.“
Zwischen Travemünde und dem damaligen Swinemünde – heute das polnische Swinoujście – lagen damals, nur sieben Jahre nach Gründung der DGzRS, bereits zwölf Stationen. Das Ausmaß der Zerstörung war unbeschreiblich. Vielerorts gab es Rettungsversuche für Schiffsbesatzungen durch die Rettungsstationen. Fast alle mussten jedoch wegen der Undurchführbarkeit im Orkan mit dem Ruderrettungsboot auszulaufen, aufgegeben werden. Einige Rettungsstationen wurden gänzlich zerstört, alle erlitten schwere Schäden.
In Warnemünde gelang der Rettungsmannschaft die Rettung mehrerer von der Überschwemmung in Lebensgefahr geratener Menschen. Dazu berichtete der damalige Vormann Stephan Jantzen:
„In dem Warnemünde gegenüber am östlichen Ufer der Warnow gelegenen Hause des Aufsehers des städtischen Bauhofs stand gegen Mittag des 13. Novembers das Wasser 4 Fuß hoch. Die wilde Brandung riss von den umstehenden Gebäuden eines nach dem anderen um und liess für das Schicksal des Aufsehers und seiner Familie das schlimmste befürchten. Man versuchte, da bei dem furchtbaren Sturm in der mit losgerissenen Fahrzeugen, Häusertrümmern und Balken gefüllten Warnow an Rudern nicht zu denken war, den mit rasender Eile einwärts laufenden Strom zu benutzen, um mit einem Boote an das jenseitige Ufer zu gelangen und hatte zu dem Ende ein Lootsenboot an einer langen Leine, deren anderes Ende stromwärts befestigt war, gewissermassen vor Anker gelegt. Das Fahrzeug gelangte glücklich auf zwei Drittel des Wegs über die Warnow, war hier aber durch den Gegenstrom und die Brandung nicht weiter zu bringen. Jetzt schoss man vom Ufer aus eine Rakete ab, deren Leine über das Boot fiel und die Insassen desselben in den Stand setzte, sich an das gefährdete Haus hinanzuholen und dessen Bewohner, den Aufseher Sander, seine 72jährige Schwiegermutter und 4 Kinder aufzunehmen.“
Mit welcher Wucht Orkan und Flut über die Küste rasten, zeigt das Ausmaß des Schadens auf der Station Timmendorf auf Poel. Ein Teil der Trümmer des fortgespülten Stationsgebäudes war inlands bis zu einem Rittergut getrieben, ein anderer Teil wurde über die Wismarer Bucht hinweg nach Tarnewitz bei Boltenhagen gespült, wo auch ein paar Reserve-Räder landeten. Bruchstücke vom Rahmenwerk des Schuppens lagen an der Küste umher.
Die Stationen konnten innerhalb der nächsten Jahre wieder aufgebaut werden. Noch heute erinnern in vielen Orten Pegel mit zum Teil Marken über drei Meter über Normal an den damaligen Wasserstand.