Sven Okken ist seit mehr als 20 Jahren beruflich auf der Nordsee unterwegs: Er ist Krabbenfischer.
Der Heimathafen seiner „Pirola“ ist Norddeich. Der Kutter liegt unweit des Seenotrettungsbootes OTTO DIERSCH der DGzRS an der Pier. Zu dessen Besatzung gehört der 40-Jährige seit einigen Monaten.
Nebel liegt wie Watte auf dem Wasser. Es ist nasskalt, unge- mütlich. Eine leichte Brise weht über der Nordsee. Sven Okken sitzt im warmen Ruderhaus seines Kutters, gut geschützt vor der feuchten Luft da draußen. Er ist hochkonzentriert: Aufmerksam verfolgt er die Echos anderer Schiffe und der Tonnen auf dem Radar. Ständig kontrolliert er auf dem Echolot die Wassertiefe. Bei dem Grau in Grau an diesem Tag ist eine Fahrt auf Sicht unmöglich, er kann nicht mal ein Kabel weit sehen, das sind gut 185 Meter. Doch auch an diesen kühlen Novembertagen liebt er es, auf See zu sein.
„Mir gefällt die Ruhe, die Weite. Ich bin gerne an der frischen Luft und genieße die Freiheit hier draußen.“
Und das ist schon immer so gewesen. Als Kind der ostfriesischen Küste ist der heute 40-Jährige in Westermarsch unweit des Städtchens Norden aufgewachsen. Mit Möwengeschrei im Ohr, Wattschlick unter den Füßen und Pinne in der Hand ist Sven Okken groß geworden. Dennoch war es anfangs keineswegs vorherzusehen, dass der Junge als Erwachsener einmal im Steuerstand eines Krabbenkutters stehen würde. Denn er stammt aus keiner Fischer- oder Seemannsfamilie, er ist Quereinsteiger. Mit seinem Faible für die See und seiner Leidenschaft fürs Angeln verfing er sich als Jugendlicher im Netz des Fischerberufes. 1998 heuerte er als 18-Jähriger auf einem Krabbenkutter an, lernte das Handwerk von einem erfahrenen Seemann und machte als 23-Jähriger selbst das Kapitänspatent. Seit 2013 fährt er mit seinem eigenen Kutter „Pirola“ auf Fangreise.
Während Sven Okken in die Vergangenheit blickt, steht Kevin Schöpe dick eingemummelt in seinem Ölzeug an Deck und hat die Baumkurren an den Auslegern fest im Blick. Die beiden Fischer sind in ihrem Fanggebiet nördlich der ostfriesischen Insel Juist unterwegs. Gleich wollen sie erneut ihre Kurren ausbringen, wie die speziellen Grundschleppnetze der Krabbenkutter heißen. Im Steuerstand startet der Kapitän die Winde. Der daran befestigte Draht spult sich Meter für Meter ab, und die Netze sinken langsam immer tiefer ins Wasser. Das erfordert Fingerspitzengefühl. Sven Okken und Kevin Schöpe müssen aufpassen, dass sich das Fanggeschirr nicht im Schiffspropeller verheddert. Am Nordseegrund angekommen, gleiten die Kurren auf Rollen über den Boden und schrecken die Krabben auf, die dann möglichst zahlreich ins Netz hüpfen sollen.
UNSERE SEENOTRETTER
Sie fahren raus, wenn andere reinkommen – rund um die Uhr, bei jedem Wetter: unsere rund 1.000 Seenotretter. Um andere Menschen selbst unter widrigsten Bedingungen aus Not und Gefahr zu befreien, brauchen sie genauso wie Sven Okken Erfahrung, Können und Mut.
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Bei der ersten Fahrt fast nichts im Netz
Als die Baumkurren perfekt im Wasser liegen, tuckert die „Pirola“ gemächlich mit etwa drei Knoten, rund sechs Stundenkilometern, vorwärts. Sven Okken und sein Decksmann hoffen auf einen guten Fang. „Als ich das erste Mal mit meinem Kutter draußen war, hatte ich fast nichts im Netz. Da dachte ich: ‚Damit soll ich meine Familie ernähren?‘“, erinnert sich der Kapitän an den anfänglichen Schreckmoment seiner Selbstständigkeit. Glücklicherweise erhöhte sich die Ausbeute mit jedem Tag, den er auf See war. Der Jungunternehmer lernte dazu – und das Revier immer besser kennen. Mittlerweile können er und seine Familie von seiner Hände Arbeit „ganz gut leben“, wie er sagt. Dennoch: Ein gewisser, in seinen Augen gesunder Druck ist geblieben.
„Als Fischer bin ich eigentlich ständig beschäftigt, es gibt immer etwas zu tun. Ich schalte nie ganz ab. Und wenn ich am Wochenende nur überlege, wo ich in der kommenden Woche am meisten Granat fischen kann“
Fischer aus Leidenschaft
Heute hat Sven Okken den richtigen Riecher gehabt. Als er mit seinem Decksmann nach etwa zwei Stunden die Schleppnetze wieder einholt, sind deren Steerte ordentlich mit Krabben gefüllt. Sie hieven den Fang an Deck. An Bord rattert schon dröhnend eine Sortiertrommel, die das Verwertbare vom Rest trennt, auf den sich die Möwen hinter dem Kutter bereits lauthals kreischend freuen. Die gefangenen Krabben kochen sie in einem mit Seewasser gefüllten Kessel ab – in der kalten Luft steigt ordentlich Dampf auf.
Anschließend spülen die beiden Fischer den Fang auf einem großen Metallsieb noch einmal mit frischem Seewasser gründlich ab und sortieren per Hand kleine Krebse und Algenreste aus. In Kisten geschüttet, schleppen sie die Nordseegarnelen in den Kühlraum. Bei ruhigem Wetter wie an diesem Novembertag geht ihnen die Arbeit leicht von der Hand – es gibt anstrengendere Tage. Wenn der Kutter bei Schietwetter ordentlich schaukelt und sie seine schwankenden Bewegungen ständig ausgleichen müssen.
Für Sven Okken gehören solche Tage dazu, er liebt seinen Job ohne Wenn und Aber: „Ich bin Fischer mit viel Herzblut und großer Leidenschaft – es ist ein sehr schöner Beruf“, betont er. Es gibt jedoch immer weniger Menschen, denen es so geht wie ihm. Die heimische Kutterflotte auf der Nordsee schrumpft: „Der Beruf stirbt langsam aus, das finde ich sehr schade“, sagt er. Für ihn gehören die Kutter genauso zu den kleinen Fischerorten an der Nordseeküste wie die auffälligen Spezialschiffe der Seenotretter.
Deshalb engagiert sich Sven Okken seit einigen Monaten in seiner Freizeit auch bei den Freiwilligen der DGzRS-Station Norddeich. „Es macht viel Spaß“, sagt er und ergänzt: „Ich weiß, wie gefährlich es auf See werden kann. Gerade für uns Fischer sind die Seenotretter eine Art Lebensversicherung.“ Als erfahrener Seemann kennt der 40-Jährige die Grenzen seines Kutters und die eigenen sehr genau. Er ist ein besonnener Mensch, der nur so lange rausfährt, wie es Wind und Wellen zulassen. Doch heute ist die See ruhig, und die blau-weiße „Priola“ tuckert weiter gemächlich durch den Nebel.