Christian Stipeldey

Christian Stipeldey

Seenotretter zu sein, liegt für Oliver Bohn in der Familie. Der 45-jährige ist freiwilliger Vormann in Langballigau. Er leitet ehrenamtlich die nördlichste Seenotretter-Station an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste. Zur Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) kam er als junger Mann, vor 24 Jahren. „Mein Vater war ebenfalls lange freiwilliger Seenotretter, Opa bei der Marine.“ Seefahrt tut Not in der Familie Bohn.

Als Zehnjähriger bekam Oliver Bohn sein erstes eigenes Boot, fuhr auch mal zu weit raus – und musste von den Seenotrettern in den sicheren Hafen zurückgebracht werden. „Der Gedanke war da, etwas zurückzugeben.“ Die Berichte seines Vaters von See taten ein Übriges. Oliver wurde einer der rund 20 Rettungsleute, die sich die ständige Bereitschaft der Station teilen. Spätestens zehn Minuten nach der Alarmierung laufen sie mindestens zu Dritt mit dem Seenotrettungsboot WERNER KUNTZE aus – bei jedem Wetter, rund um die Uhr.

Fischerboote, Segelyachten, Motorboote und Jollen liegen in dem kleinen, gewachsenen Ostseehafen. Gegenüber liegt Dänemark in Sichtweite. Die Flensburger Förde, ein langgezogener Meeresarm, ist ein navigatorisch anspruchsvolles Revier. Die allseitige Küstennähe bedingt viele Untiefen, also Sandbänke. „Wer dort aufläuft, ist nicht unbedingt sofort in Gefahr. Den schleppen wir oft da runter“, sagt Oliver Bohn routiniert.

Mann bedient einen Touchscreen
Foto: artundweise

Unterstützen Sie die Seenotretter

Jetzt spenden

Kein Einsatz ist wie der andere.

Seitenansicht des Seenotrettungsbootes WERNER KUNTZE
Foto: artundweise

Doch Routine sind auch solche Einsätze nie. Der Vormann weiß, wie schnell auf See trotz bester Vorbereitung und guter Seemannschaft aus einem kleinen Problem eine große Gefahr werden kann: „Reißt das Ruder ab, ist das Boot manövrierunfähig. Das passiert leicht, wenn die See etwas rauer ist. Läuft durch ein Leck Wasser rein, dauert es nicht lange, bis ein Boot sinkt. Das bedeutet Lebensgefahr – vor allem in kaltem Wasser.“

Um Schiffbrüchige schnell und sicher zu retten, braucht es ein gut trainiertes Team. Oliver Bohn trägt als Vormann die Verantwortung für seine Besatzung – im Einsatz, aber auch im Training. Sein jüngstes Crewmitglied ist 20, das älteste 63 Jahre alt. „Die bringe ich alle unter einen Hut: Sie brauchen Ausbildung, Trainings, müssen Kontrollfahrten machen, um ständig und sicher Einsätze fahren zu können – 24 Stunden täglich, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr.“

Alle sind Freiwillige, arbeiten hauptberuflich meist ohne Bezug zur Seefahrt – oft nicht einmal in Hafennähe. Der Vormann selbst ist „Scharpmoker“, wie der Sägeblätter, Messer und Scheren schärfende Schneidwerkzeugmechaniker auf Plattdeutsch sympathisch genannt wird. „Als selbstständiger Handwerksmeister bin ich im Außendienst. Ein Kollege arbeitet in Hamburg. Was ist, wenn wir weit weg vom Liegeplatz sind? Wer kann dann losfahren? Die ständige Einsatzbereitschaft unserer Station muss ich als Vormann gewährleisten. Dafür haben wir einen Wachplan.“ Trotz Wachplan: Du weißt nie was kommt, heißt es bei den Seenotrettern.

Sturm auf der Ostsee, Menschen in Seenot: Oliver fährt raus, um Leben zu retten. Sonja macht es möglich – mit ihrer Spende, regelmäßig und uneigennützig. Beide sind #Seenotretter!

Die Verknüpfung mit dem Video-Streaming-Dienst ist deaktiviert, um Ihre Privatsphäre zu schützen. Klicken Sie auf "Play", um sie zu aktivieren. Wenn Sie das Video laden, akzeptieren Sie die Datenschutzrichtlinien des Video-Streaming-Dienstes. Weitere Informationen zu den Datenschutzrichtlinien finden Sie hier. Google - Privacy & Terms

Bild von Oliver Bohn
Foto: artundweise

„Manchmal kommt eine Woche lang keine Alarmierung, manchmal fahren wir vier Einsätze am Tag.“

Seenotretter kennen keine Saison. „Manchmal denkt man: starker Wind, Regen, heute muss auf jeden Fall noch etwas kommen. Aber dann passiert nichts. Ein anderes Mal sitzt man bei strahlendem Sonnenschein auf der Terrasse und fragt sich, was schon passieren soll. Dann sind da drei Kinder mit einem selbst gebauten Floß in eine Strömung geraten, ein älterer Herr ist mit Herzinfarkt auf einem Boot zusammengebrochen, oder ein Fischer hat sich beim Ausnehmen der Fische auf See ein Messer in den Unterleib gerammt. Dann werden wir gerufen, und es gibt nichts, was uns zurückhalten könnte, da ticken wir alle gleich“, sagt Oliver Bohn.

Ein Mann wirft eine Leine von Bord eines Seenotrettungsbootes in Richtung eines anderen Bootes.
Foto: artundweise

„Der Eintritt ist freiwillig. Der Austritt ist freiwillig. Aber dazwischen ist Dienst. Dann geht es um Menschenleben, auch am eigenen Hochzeitstag.“

Nicht selten dauert ein Einsatz auch mal viele Stunden. „Als Familienvater muss ich damit rechnen, dass ich losmuss, wenn ich nach Feierabend mit den Kindern spiele oder mit meiner Frau etwas essen gehe.“ Und: „Man kann von Land aus, wenn der Alarm reinkommt, nie ganz beurteilen, was auf See wirklich los ist.“

Das Einsatzspektrum ist umfangreich, für Berufs- wie Freizeitschifffahrt gleichermaßen. Alle Seenotretter sind ausgebildet in erweiterter Erster Hilfe, also notfallmedizinischen Grundlagen. An Bord sind Sauerstoffanlage, Defibrillator, Notfallrucksack, Zugänge, Kochsalzlösung – wie auf einem Rettungswagen an Land. Hinzu kommt umfangreiche technische Ausrüstung wie Lenzpumpen, um einen Wassereinbruch zu bekämpfen und den Havaristen schwimmfähig zu halten, oder Leinenmaterial, um ihn auf den Haken zu nehmen und in den sicheren Hafen zu schleppen.

Die Seenotretter müssen modernste Navigations- und Kommunikationstechnik beherrschen und die Maschine des Seenotrettungsbootes instandhalten. Die Einsätze in Wind, Wellen und Salzwasser beanspruchen Mensch und Technik stark. „Ich als Vormann kann das nicht alleine. Wir teilen uns die Aufgaben. Jeder ist Spezialist auf einem Gebiet, aber Generalist beim Retten, diese Handgriffe müssen alle beherrschen“, sagt Oliver Bohn.

Allein kann auf See niemand etwas ausrichten. Das war schon zur Zeit der Ruderrettungsboote vor mehr als 150 Jahren nicht anders.

Gern gibt der Vormann, den seine Crew in das verantwortungsvolle Ehrenamt gewählt hat, einen Teil der Verantwortung in andere Hände zurück. „Wir sind alle gleichberechtigt. Klar, es braucht einen, der letztlich sagt, wie es gemacht wird. Ich bin der Vormann und ich möchte auch der Vormann sein, aber mein Team ist das Entscheidende. Gerade im Einsatzfall muss sich jeder blind auf den anderen verlassen können.“ Da sind lebenswichtige Aufgaben wie die Wartung der Rettungswesten oder der Lifelines, der Rettungsleinen, mit denen sich die Seenotretter zum Eigenschutz bei der Arbeit an Deck einpicken, um nicht über Bord zu gehen.

„Das gab es noch nicht, dass das Seenot­rettungsboot nicht den Hafen verlassen hätte, wenn jemand draußen in Not war.“

Das Risiko fährt immer mit – so auch bei den beiden Einsätzen, die Oliver Bohn am meisten in Erinnerung sind. Es war im November, blauer Himmel, doch plötzlich zog ein Gewitter mit starkem Wind auf. Ein hölzernes Segelboot, acht Meter lang, kenterte. „Zwei Menschen waren im Wasser. Schnell konnten wir den jüngeren retten. Aber am Boot klammerte sich noch ein älterer fest, im Schockzustand, wahrscheinlich unterkühlt. Auch auf Zuruf wollte er nicht loslassen. Jetzt ging es um Minuten. Also bin ich im Überlebensanzug in die ruppige See gesprungen, hingeschwommen und hab ihn überredet, loszulassen. So haben wir ihn an Bord geholt, medizinisch versorgt und an Land gebracht. Dann sind wir noch einmal rausgefahren, haben das gekenterte Boot aufgerichtet, leer gepumpt und in den Hafen geschleppt. – 14 Tage später: Ein-Mann-Segler, Nacht, hohe See. Der Segler bekam einen Schwächeanfall, lief irgendwo auf, ging über Bord. Diesmal sprang mein Kollege rein und holte den Schiffbrüchigen an Bord. Erstversorgung, ab an Land, dem Rettungsdienst übergeben. Sein Boot haben wir gesichert, Leckabwehr gemacht, in den Hafen geschleppt.“

Zuverlässige Technik hilft den Seenotrettern, die Risiken ihrer Einsätze so gering wie möglich zu halten. Zuverlässige Technik und zuverlässige Kollegen: „Wir machen das, weil wir Spaß daran haben. Unser Zusammenhalt macht Freude. Wir haben eine super Crew, wir feiern auch gemeinsam und laden uns gegenseitig zum Geburtstag ein. Das ist wie eine Familie. Und unsere Hilfe für Menschen, die sie benötigen, macht uns Freude. Es ist ein unheimlich cooles Gefühl, wenn man rausfährt und wieder reinfährt, und man hat alles gewissenhaft erledigt, Leben gerettet und Material geschont. Gerettete erzählen uns immer wieder, wie glücklich sie sind, wenn sie die schäumende Bugwelle sehen, weil die Seenotretter kommen. Und wir kommen – immer!

Werden Sie Seenotretter – mit Ihrer Spende.

just one moment ...
„Mit Blick auf das Revier und für die Gemeinschaft“

Neuer Vormann der Freiwilligenstation Gelting ist seit Anfang Februar 2024 Tim Eggers. Für den 48-Jährigen ist die See fast so essenziell wie die Luft zum Atmen, ohne sie hält er es nie lange aus.

Unsere Seenotretter
Familienmensch mit großer Sehnsucht nach der See

Gregor Jeske (34) ist neuer Vormann der Station Deutsche Bucht/Helgoland. Der gebürtige Ostwestfale erzählt, warum er schon als Kind unbedingt zur See fahren wollte und wieso er heute dennoch mit seiner Familie weit weg von der Küste in Baden-Württemberg lebt.

Unsere Seenotretter
„Sinnstiftende und lebenserfüllende Aufgabe“

Wie sehr Menschen auf See den Naturgewalten ausgeliefert und wie verloren sie ohne die Hilfe anderer sind. Dieses ist ein wesentlicher Grund dafür, warum sich der 40-Jährige heute als freiwilliger Seenotretter auf der Station Damp engagiert.

Unsere Seenotretter
„Wie eine große Familie“

„Die Seenotretter sind wie eine große Familie, aber ohne unsere Partner geht es nicht!“ Harm Olchers ist Insulaner durch und durch. Auf der Nordsee ist er immer, wenn es seine Zeit erlaubt. Zwischen Ehrenamt, Beruf und Familie hat er davon jedoch viel zu wenig.

Unsere Seenotretter
„Es ist ein schönes Gefühl, das Leben anderer zu retten“

„Es ist ein schönes Gefühl, das Leben anderer zu retten“
Axel Mussehl kennt die Seenotretter, seit er denken kann: Als Junge war er mit seinem Vater oft an Bord der Rettungseinheiten der Station Travemünde. Mittlerweile gehört der 27-jährige Polizist selbst zur Freiwilligen-Besatzung des Seenotrettungsbootes ERICH KOSCHUBS – und hat schon mehrfach Leben gerettet.

Unsere Seenotretter
Kein Einsatz ist wie der andere. Wir wissen nie, was uns auf See wirklich erwartet.

„Ich kann mich auf meine Kollegen verlassen, nicht nur im Einsatz. Vielen ist heute nicht mehr so bewusst, wie viel so eine Gemeinschaft einem gibt.”

Unsere Seenotretter
„Wir sind eine richtige Seenotretter-Familie."

Zur Besatzung des Seenotrettungsbootes zu gehören, ist auf zahlreichen Stationen der DGzRS an Nord- und Ostsee oft Teil der Familientradition. Auch der Rüganer Martin Rakobrandt ist nicht der erste in seiner Familie, der rausfährt, wenn andere reinkommen.

Unsere Seenotretter
„Als Vormann muss ich genau wissen, was meine Besatzung macht – aber ohne sie bin ich nichts."

Du weißt nie, was kommt, heißt es bei den Seenotrettern. Denn kein Einsatz ist wie der andere. Diese Erfahrung hat Frank Weinhold schnell gemacht, als er vor 15 Jahren bei der DGzRS angeheuert hat.

Unsere Seenotretter
Vom „Moses“ zum Vormann

„Es gibt Momente, in denen weiß man: Dafür macht man das alles“, sagt Hauke Janssen-Visser.

Unsere Seenotretter
Freiheit eines Fischers

Sven Okken ist seit mehr als 20 Jahren beruflich auf der Nordsee unterwegs: Er ist Krabbenfischer. Der Heimathafen seiner „Pirola“ ist Norddeich. Der Kutter liegt unweit des Seenotrettungsbootes OTTO DIERSCH der DGzRS an der Pier. Zu dessen Besatzung gehört der 40-Jährige seit einigen Monaten.

Unsere Seenotretter
Lebenslange Leidenschaft – vom Fan zum Seenotarzt

Als Anästhesist auf der Intensivstation in der Nordseeklinik Westerland hat Markus Stumm einen Job, der sehr fordernd ist. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, in seiner Freizeit als Seenotarzt für die DGzRS aktiv zu sein.

Unsere Seenotretter
Weitere Artikel
Bremer Eiswette 2025: „De Werser geiht!“

Das Ergebnis der traditionsreichen Bremer Eiswette steht einmal mehr fest: Die Frage, ob „de Werser geiht“ oder „steiht“, also fließt und eisfrei oder aber zugefroren ist, war am Dreikönigstag 2025 eindeutig zu beantworten. Die Eisprobe der Bremer Eiswettgesellschaft von 1829 ergab auch 195 Jahre nach der ersten, früher für Handel und Schifffahrt wichtigen Zeremonie: alles im Fluss auf dem Fluss.

Danke
Jahresrückblick 2024

Jahresrückblick 2024

Blicken Sie mit unserem Video-Jahresrückblick auf ein bewegtes – und bewegendes – Seenotretter-Jahr 2024 zurück! Wir bedanken uns bei Ihnen allen im #TeamSeenotretter für Ihre großartige Unterstützung im zu Ende gehenden Jahr!

Neuigkeiten
Retter in Seenot - Unglück und Rettung der ALFRIED KRUPP

Am 1. Januar 1995 verunglückte der Seenotrettungskreuzer ALFRIED KRUPP, Vormann und Maschinist kamen ums Leben. Doch unter dem Einsatz ihrer eigenen Leben retteten Seenotretter der DGzRS-Station Norderney zwei weitere Crewmitglieder der ALFRIED KRUPP.

Sturm