Ralf Baur

Ralf Baur

Harm Olchers ist Insulaner durch und durch. Auf der Nordsee ist er immer, wenn es seine Zeit erlaubt. Zwischen Ehrenamt, Beruf und Familie hat er davon jedoch viel zu wenig. Er engagiert sich auf Baltrum ehrenamtlich bei den Seenotrettern und der freiwilligen Feuerwehr, seit September 2020 leitet er die Geschicke der Inselgemeinde als Bürgermeister. Bei der DGzRS begann er 1981, 2001 übernahm er von seinem Vater den Vormannsposten..

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Harm Olchers hat im August 1981 seinen ersten Ausbildungstag bei der Inselverwaltung, als er in der Mittagspause per Handschlag zum freiwilligen Rettungsmann wird. „Ich stand gerade am Hafen als die Seenotretter raus mussten, ein Motorboot hatte Probleme. Ein zweiter Mann fehlte. Also sagte Bootsführer Karl Comien zu mir: ‚Du kanst doch Boot fahrn, denn kummst du mit!“, erinnert er sich und lacht. Das Motorboot haben sie damals mit dem Seenotrettungsboot TAMINA eingeschleppt – es war Harm Olchers’ erster erfolgreicher Einsatz.

Der heute 59-jährige gebürtige Ostfriese sitzt im Rathaus und schnackt „een lütt beten“ über sich und sein Leben. Er ist ein fröhlicher, positiv denkender Mensch, zu dessen Leben aber ebenso die dunklen Momente gehören – gerade auch in seiner Rolle als Seenotretter. Zuletzt gab es ein solches Erlebnis im August 2021: Im gefährlichen Seegatt Accumer Ee gerät bei extrem starkem Seegang mit Wellenhöhen bis zu vier Metern eine Segelyacht mit dreiköpfiger Besatzung in Seenot. Eine Frau und ein Mann werden gerettet. Den dritten Segler finden die Baltrumer Rettungsleute leblos unter der Wasseroberfläche treibend. Er versinkt, als sie versuchen, den Körper aus der aufgewühlten See zu bergen. Bis heute ist der Mann nicht wieder aufgetaucht – bitter für die Familie, bitter für die Seenotretter.

Jeder geht mit einer solchen Situation anders um, die Seenotretter erhalten professionelle Hilfe. „Niemand soll mit seinen Eindrücken allein bleiben, und das passiert auch nicht. Wir passen gegenseitig aufeinander auf“, betont Harm Olchers. Er selbst hat in seiner Zeit als ehrenamtlicher Rettungswagenfahrer auf der Insel viel gesehen und gelernt, mit aufwühlenden Bildern umzugehen. Solche Situationen gehören seiner Ansicht nach zum Leben dazu: „Wir sind hier alle nur zu Besuch.“ Und gerade die See sei unerbittlich, jeder Fehler könne der letzte gewesen sein.

„Wir alle machen es mit viel Herzblut, wir wollen helfen. Das Lächeln in den Gesichtern der Geretteten ist für uns der größte Lohn und etwas sehr Wertvolles, das uns jedes Mal aufs Neue motiviert und anspornt.“

Harm Olchers

In ihrem Revier mit den ausgedehnten Wattgebieten sind die freiwilligen Seenotretter der Station Baltrum regelmäßig auf Kontrollfahrt.

Gefährliches Revier

Gerade das sich ständig verändernde Wattenmeer mit seinen Untiefen, Fahrwassern und Prielen kann tückisch sein. Besonders die Seegatten zwischen den Inseln mit den vorgelagerten Sandbänken und Riffbögen sind für Fischer und Sportbootfahrer manchmal sehr gefährlich. Nachlässig darf dort niemand sein. Denn nach jedem Sturm kann sich tonnenweise Sediment verlagert haben, sodass mitunter selbst die ausgelegten Seezeichen nicht mehr den richtigen Weg durch die schmalen Fahrrinnen weisen.

Genau darin liegt für Harm Olchers aber auch der Reiz des Reviers um Baltrum: „Es ist immer wieder anders da draußen. Wir haben zwar unsere Plottstriche, mit denen wir unsere Wege durch die engen Seegatten markieren. Doch diese haben nicht dauerhaft Bestand und wir müssen sie den sich ständig verändernden Gegebenheiten anpassen. Das ist herausfordernd.“ Vor allem im Einsatz ist es für die Seenotretter wichtig, bei jedem Wetter, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu wissen, wie sie am schnellsten zum Havaristen gelangen, welche Abkürzung sie durch ihr Revier nehmen dürfen, ohne selbst Gefahr zu laufen, auf einer Sandbank hängen zu bleiben.

Der Vormann kennt das Wattenmeer und seine Besonderheiten seit seiner Jugend. Geboren ist Harm Olchers auf dem Festland: Seine ersten Lebensjahre verbringt er hinterm Deich in der Stadt Norden. Ende der 1960er-Jahre wird sein Vater nach Baltrum versetzt. Reiner Olchers ist Polizist und übernimmt – „als erster fester ‚Sheriff‘“, wie sein Sohn sagt – auf der kleinsten der sieben dauerhaft bewohnten Ostfriesischen Inseln ganzjährig die dortige Dienststelle. Als die DGzRS ihre nach dem Zweiten Weltkieg aufgelöste Rettungsstation auf Baltrum 1972 wieder einrichtet, baut er sie gemeinsam mit anderen Mitgliedern des örtlichen Bootsclubs auf – er wird freiwilliger Vormann.

Mit Herzblut Seenotretter

Reiner Olchers' Söhne Harm und Ralf wachsen mit seinem großen Hang zu Booten und seinem Engagement für die DGzRS auf: Sie lernen früh den Umgang mit dem Wasser und den Gezeiten, sind bei den Vorführungen der Seenotretter für Touristen vor dem Badestrand dabei, bitten mit dem Sammelschiffchen in der Hand um Spenden und sind oft unten am Hafen beim Seenotrettungsboot TAMINA. „Das hat mich alles sehr begeistert. Für mich sind die Seenotretter wie eine große Familie, aber ohne unsere Partner geht es nicht!“, sagt Harm Olchers. In einer Gemeinschaft sind Vertrauen, Respekt und Ehrlichkeit elementar – besonders in Extremsituationen, in die die Rettungsleute bei einem Einsatz geraten können. „Unser Eigenschutz geht immer vor. Deshalb muss jeder an Bord offen aussprechen, wenn er diesen Eigenschutz gefährdet sieht.“

Das ist schon so gewesen, als die Station 1994 das 8,5-Meter-Seenotrettungsboot BALTRUM erhält: „Es war eine ganz andere Sache als die TAMINA: Es war extrem schnell, voll mit Power“, erinnert sich Harm Olchers. Zehn Jahre später ersetzt die ELLI HOFFMANN-RÖSER die BALTRUM – sie ist für ihn das „schönste Boot der Flotte“. Seine Tochter Jantje tauft das Seenotrettungsboot am 7. Dezember 2004. Da ist er bereits seit drei Jahren freiwilliger Vormann der Station. Auf dieser gehören sein jüngerer Bruder Ralf und sein Sohn Jürn Olchers ebenfalls zur 16-köpfigen Mannschaft. Auf diese ist er mächtig stolz und ohne sie wäre er als Vormann nichts, geschweige denn, dass eine Station ohne sie funktioniert. „Wir alle machen es mit viel Herzblut, wir wollen helfen. Das Lächeln in den Gesichtern der Geretteten ist für uns der größte Lohn und etwas sehr Wertvolles, das uns jedes Mal aufs Neue motiviert und anspornt.“

Ausbildung der Seenotretter Baltrum vom DGzRS auf dem Seenotrettungsbootes ELLI HOFFMANN-RÖSER mit dem Trainingsschiff CARLO SCHNEIDER | Foto: Marcus Prell

Auf der kleinsten Ostfriesischen Insel Baltrum ist das Seenotrettungsboot ELLI HOFFMANN-RÖSER stationiert. Wie auf allen Ostfriesischen Inseln befindet sich der Hafen an der im Süden liegenden Wattseite – im Norden, zur Seeseite, liegen ausgedehnte Sandbänke. Nachbarinseln sind das im Osten gelegene Langeoog und das westlich liegende Norderney.

Zwischen den Inseln befinden sich die Seegatten. Das Wort „Gatt“ steht im Plattdeutschen für „Loch“. Aufgrund ihrer widrigen Strömungsverhältnisse für die Schifffahrt können Gatten sehr gefährlich werden. Befahrbar ist nur das Seegatt zwischen Baltrum und Langeoog, die Accumer Ee. Zwischen Baltrum und Norderney verhindern gefährliche Untiefen die Durchfahrt Richtung See.

Das Wattenmeer ist für die Schifffahrt grundsätzlich nur teilweise befahrbar, denn es gehört zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Fähren können in diesem Gebiet durch Grundberührung festkommen. Große Teile des Wattengebietes fallen bei Niedrigwasser jedoch trocken, in der Folge können die Fahrrinnen extrem flach sein.

Aus diesem Grund ist im Hafen von Baltrum das flachgehende Seenotrettungsboot ELLI HOFFMANN-RÖSER stationiert, das von 16 Freiwilligen um Vormann Harm Olchers gefahren wird. Gebaut wurde die ELLI HOFFMANN-RÖSER 2004 bei der Lürssen-Werft in Bardenfleth. Dank einer großzügigen Schenkung von Kurt Hoffmann aus Berlin konnte das Seenotrettungsboot finanziert werden. Dem Wunsch des Spenders folgend trägt es zur Erinnerung an seine Frau ihren Namen.

Die Gefahren des Reviers zeigt auch das kleine Inselmuseum mit Zeugnissen eines besonders tragischen Falls um die Jahrhundertwende, bei dem ein junger Insulaner im Meer ums Leben kam. Beschäftigt auf dem Festland, kam er zu Weihnachten mit einem Boot auf die Insel. Im dichten Nebel setzte der Skipper ihn ab. Zu spät bemerkte der junge Mann, dass die Insel noch nicht erreicht worden war. Auf einer Sandbank vor Baltrum ertrank er. Im Inselmuseum ist sein Abschiedsbrief an seine Eltern verwahrt, der nach seinem Tod in seiner Tabaksdose angetrieben wurde.

Das Seenotrettungsboot ELLI HOFFMANN-RÖSER/Station Baltrum gehört zur 9,5/10,1-Meter-Klasse der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Das Spezialschiff wird von freiwilligen Seenotrettern gefahren. | Foto: DGzRS Die Seenotretter, Jannis Krone

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„Mit Blick auf das Revier und für die Gemeinschaft“

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„Es ist ein schönes Gefühl, das Leben anderer zu retten“

„Es ist ein schönes Gefühl, das Leben anderer zu retten“
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Kein Einsatz ist wie der andere. Wir wissen nie, was uns auf See wirklich erwartet.

„Ich kann mich auf meine Kollegen verlassen, nicht nur im Einsatz. Vielen ist heute nicht mehr so bewusst, wie viel so eine Gemeinschaft einem gibt.”

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Allein kann auf See niemand etwas ausrichten.

Er ist Seenotretter mit Leib und Seele: „Der Eintritt ist freiwillig. Der Austritt ist freiwillig. Dazwischen ist Dienst. Dann geht es um Menschenleben, auch am eigenen Hochzeitstag.“

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Zur Besatzung des Seenotrettungsbootes zu gehören, ist auf zahlreichen Stationen der DGzRS an Nord- und Ostsee oft Teil der Familientradition. Auch der Rüganer Martin Rakobrandt ist nicht der erste in seiner Familie, der rausfährt, wenn andere reinkommen.

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„Als Vormann muss ich genau wissen, was meine Besatzung macht – aber ohne sie bin ich nichts."

Du weißt nie, was kommt, heißt es bei den Seenotrettern. Denn kein Einsatz ist wie der andere. Diese Erfahrung hat Frank Weinhold schnell gemacht, als er vor 15 Jahren bei der DGzRS angeheuert hat.

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