Händeschütteln, Schulterklopfen und Umarmungen. Im Hafen von Laboe begrüßt Vormann Marek Przybilla Kolleginnen und Kollegen der Nachbarstationen. Eigentlich sind seine Mannschaft und er im Olympiahafen Schilksee am Westufer der Kieler Förde zu Hause. Doch an diesem sonnigen 6. April haben sie bewusst die Seite gewechselt: „Laboe ist für eine Taufe zu dieser Jahreszeit wesentlich attraktiver als Schilksee. Dank den Stufen am Hafen haben alle einen optimalen Blick auf unser neues Seenotrettungsboot. Es sind mehr Menschen unterwegs, die neugierig stehen bleiben. Und der dort stationierte Seenotrettungskreuzer BERLIN samt Informationszentrum sind weitere Anziehungspunkte“, begründet der Leiter der Freiwilligenstation ihren Entschluss. Allmählich füllt sich die Pier mit Gästen und Seenotrettern – ehemalige Rettungsleute aus Schilksee sind ebenfalls angereist. „Das freut uns sehr“, sagt der Vormann. Doch viel Zeit zum Plaudern hat er nicht – gleich um 11 Uhr beginnt die Taufzeremonie.
Währenddessen herrscht rund 60 Kilometer weiter östlich im Hafen von Burgtiefe auf Fehmarn morgendliche Ruhe. Ein paar Segelyachten schaukeln sanft an ihren Liegeplätzen. Wenige Wassersportler und Urlauber sind im Hafen unterwegs. Für Vormann Arne Fröse und seine Freiwilligen der Station Fehmarn beginnen die letzten Vorbereitungen für die Taufe erst am Samstagnachmittag: Sie putzen und polieren ihre neues Seenotrettungsboot SRB 88. Die Neugier steigt: Alle sind gespannt, welchen Namen ihre neue Rettungseinheit am nächsten Tag bekommen wird.
An der Kieler Förde berichtet Vormann Marek Przybilla indes von ersten Einsätzen und den sehr guten Erfahrungen mit dem seit Anfang Oktober in Schilksee stationierten Seenotrettungsboot SRB 86. Der 27-Jährige beschreibt das Revier der rund 25 freiwilligen Seenotretter auf der vielbefahrenen Kieler Förde und Kieler Bucht, in dem Einhandsegler mit kleinen Booten genauso unterwegs sind wie Seeleute auf Frachtern und Fähren. „Wir sind für sie alle da, wenn sie in Not geraten“, betont er. Gemeinsam verzeichnen die Stationen Laboe und Schilksee bis zu 200 Einsätze Jahr für Jahr. Allein auf die Schilkseer Seenotretter entfallen jährlich bis zu 60. „Mit dem neuen Seenotrettungsboot sind wir nun mehr als doppelt so schnell unterwegs wie bisher. Das erweitert unsere Einsatzmöglichkeiten erheblich.“
„Harmonisches Miteinander“
Am nächsten Morgen verholen die freiwilligen Seenotretter auf Fehmarn ihr neues Seenotrettungsboot von dessen Liegeplatz in Burgstaaken ins gegenüberliegende Burgtiefe. In der dortigen Marina findet die Taufe statt, weil der Hafen von Burgstaaken gerade umfassend modernisiert wird. Während die Mannschaft SRB 88 ein letztes Mal mit Lederlappen auf Hochglanz bringt und über die Toppen flaggt, treffen am Burger Binnensee die Gäste ein – darunter Taufpatin Susanne Stichler. „Es war ein sehr harmonisches Miteinander“, beschreibt Vormann Arne Fröse die Begegnung mit der NDR-Moderatorin. Sie selbst sagt: „Als ich im Hafen ankam, habe ich sofort ein unglaubliches Wir-Gefühl gespürt und fühlte mich gleich in diese Gemeinschaft aufgenommen.“ Dieses Zusammentreffen mit vielen Menschen, die den Seenotrettern eng verbunden sind, geht dem Vormann am meisten zu Herzen: „Das Berührendste war für mich, dass so viele Kolleginnen und Kollegen mit ihren Booten extra für uns angereist sind. Das zeigt, welch großartiges Miteinander wir haben.“
Am Samstag steht Marek Przybilla in Laboe derweil zwischen dem Stadtrat der Landeshauptstadt Kiel Christian Zierau und dem Bürgermeister der Gemeinde Laboe Heiko Voß. Alle drei hören DGzRS-Vorsitzer Ingo Kramer aufmerksam zu. Zur Taufe spricht er über Einsätze und Gefahren auf See für die Seenotretter. Er skizziert die besonderen Eigenschaften von SRB 86. Und vor allem bedankt er sich bei den vielen Spenderinnen und Spendern aus dem ganzen Land, besonders bei den beiden Menschen, die mit ihrem Nachlass den Bau der noch ungetauften Rettungseinheit ermöglicht haben: „Für dieses große Zeichen des Vertrauens sind wir besonders dankbar.“
Ähnliche Worte findet sein Stellvertreter Lars Carstensen am nächsten Tag in Burgtiefe. SRB 88 wurde jedoch nicht aus einer Erbschaft, sondern aus Erträgen der 2013 gegründeten Stiftung „Die Seenotretter“ finanziert. „Damit entsprechen wir den Wünschen vieler Menschen, die die DGzRS langfristig und dauerhaft, auf unbestimmte Zeit, unterstützen möchten“, sagt Carstensen. Zu den Stifterinnen und Stiftern gehören Anke und Konrad Suhrke, die aus Lüneburg nach Fehmarn gekommen sind. Das Ehepaar hat sowohl Geld als auch Immobilien in die Stiftung eingebracht. „Die Erträge daraus bewirken schon heute Gutes und werden weit über unseren Tod hinaus dazu beitragen, den Seenotrettern Sicherheit für ihre oft gefahrvollen Einsätze zu geben“, sagt Anke Suhrke. Ihr Mann ergänzt: „Es lebt sich leichter, wenn man frühzeitig die Frage gut geregelt hat, was eines Tages von einem selbst bleibt, wenn man die letzte große Reise antreten muss. Mit der Seenotretter-Stiftung ist dies bestens geregelt, davon sind wir überzeugt.“
Große Ehre
Nachdem in Laboe alle Reden gehalten sind, sagt DGzRS-Mitarbeiterin Nicole Wassersleben den wohl wichtigsten Satz des Tages: „Ich taufe dich auf den Namen JÜRGEN HORST und wünsche dir und deiner Besatzung allzeit gute Fahrt und stets eine sichere Heimkehr!“ Sie übernimmt dies stellvertretend für die Witwen der beiden Brüder aus dem westfälischen Dortmund, aus deren Nachlass das Seenotrettungsboot finanziert wurde. Die beiden Ehefrauen konnten altersbedingt nicht selbst dabei sein. „Für mich war es eine ganz große Ehre und macht mich sehr stolz“, sagt die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte. Wenig später verlässt die neue Rettungseinheit erstmals unter ihrem endgültigen Namen den Hafen von Laboe.
In Burgtiefe legt das frisch getaufte Seenotrettungsboot am Sonntag ebenfalls zu einer kurzen Tauffahrt ab. Zuvor hat NDR-Fernsehmoderatorin Susanne Stichler ihm seinen Namen gegeben: HELENE. Er erinnert an die lange Geschichte der Seenotretter auf Fehmarn: Genauso hieß das erste Ruderrettungsboot der im November 1897 errichteten Station. Der Name geht zurück auf Helene Döring aus Breslau, „die unserer Gesellschaft einen Stiftungsbeitrag von Mk. 4000.– überwiesen hat“, wie es im DGzRS-Jahrbuch 1897/98 heißt.
Als die JÜRGEN HORST wieder im Hafen von Laboe liegt, kann Marek Przybilla ein wenig durchatmen. „Es war ein sehr schöner Tag! Ich habe die große Gemeinschaft zwischen den Seenotrettern, den Ehrenamtlichen und den Gästen gespürt“, resümiert er. Ähnlich fällt auch Arne Fröses Fazit in Burgtiefe aus: „Auch wenn es bereits meine dritte Taufe gewesen ist: Es ist immer wieder ein besonderer, aufregender Moment für uns Seenotretter.“