Jahr für Jahr sind die Seenotretter etwa 2.000 Mal auf Nord- und Ostsee im Einsatz – rund um die Uhr und bei jedem Wetter. Oft fahren unsere Besatzungen raus, wenn andere Schiffe schützende Häfen anlaufen: bei Sturm und Orkan, im starken Regen oder dichten Nebel. Dann warten besondere Herausforderungen auf See. In diesem Grenzbereich der Seefahrt braucht es modernste Technik und äußerst seetüchtige, besonders leistungsfähige Schiffe, um die Risiken so gering wie möglich zu halten. Wenige Neubauten werden vor ihrer Indienststellung so „auf Herz und Nieren“ getestet wie unsere Rettungseinheiten.
Unsere rund 60 Seenotrettungskreuzer und -boote sind jeweils etwa 30 Jahre lang im harten Einsatz und müssen in dieser Zeit besonders starken Beanspruchungen standhalten. Bevor ihr Unterhalt zu aufwendig wird, geben wir Neubauten in Auftrag – rein rechnerisch jedes Jahr zwei. Die Sicherheit der Seenotretter steht dabei für uns seit jeher an erster Stelle. Deshalb gehen wir keine Kompromisse ein, wie dieser sinnbildliche Satz eines Schiffbauers verdeutlicht: „Wenn unsere Werft sagt, drei Millimeter dicke Aluminiumplatten genügen, dann bestellt die DGzRS doppelt so dicke.“
Vom Reißbrett zur Bootsplanke
Umfangreiche Vorüberlegungen gehen der Konstruktion neuer Schiffsklassen voraus. Sie sind das Ergebnis hoch spezialisierten Ingenieurswissens – seitens der Werft ebenso wie seitens unserer Inspektion. Jede unserer Neuentwicklungen basiert auf dem umfangreichen Erfahrungsschatz unserer Crews mit den Vorgängern, um unsere Rettungseinheiten kontinuierlich und konsequent zu verbessern. Denn unsere Besatzungen sollen stets mit der zuverlässigsten Technik in ihre nicht selten gefahrvollen Einsätze fahren – sie müssen sich hundertprozentig auf ihre Rettungseinheiten verlassen können. Und diese sollen sowohl den Seenotrettern als auch den Geretteten größtmögliche Sicherheit bieten, von der Großschifffahrt bis zum Wassersport.
Gemeinsam mit Spezialwerften entwickeln wir neue Rettungseinheiten. Es ist weitaus anspruchsvoller, ein Schiff zu bauen als beispielsweise einen Lastwagen. Denn eine Werft baut nur sehr wenige ähnliche Schiffe, vor allem für die Seenotretter. Auch dauert es etwa ein ganzes Jahr, bis ein neuer Seenotrettungskreuzer fertig ist, da dieser Spezialschiffbau hochprofessionelle Handarbeit erfordert: „Die Seenotretter sind ein sehr anspruchsvoller Kunde, aber sie fahren ja auch äußerst anspruchsvolle Einsätze“, hat es mal ein Schiffbauer auf den Punkt gebracht.
Im Versuchstank wird das Seegangsverhalten neuer Seenotrettungskreuzer zunächst am verkleinerten Modell getestet. Das liefert wichtige Erkenntnisse für die Schiffbauingenieure. Spätere Korrekturen am fertigen Schiff wären zu aufwendig. Der Rumpf ist eine Schweißkonstruktion in Netzspantenbauweise. Das enge, feste Netz der Längs- und Querspanten, auf das die doppelte Beplattung aufgebracht wird, führt zu besonders hoher Festigkeit und schützt besonders bei Grundberührungen.
Rumpf und Aufbauten bestehen in der Regel vollständig aus hochfesten seewasserbeständigen Aluminiumlegierungen. Das spart Gewicht ein und ermöglicht bei gleicher Maschinenleistung höhere Geschwindigkeiten. Unsere Rettungseinheiten gelten konstruktionsbedingt als äußerst seetüchtig und schwerwettertauglich. Sie trotzen jedem Wind und Wetter.
Erprobung auf Herz und Nieren
Im Kenterversuch müssen neue Schiffstypen beweisen, dass sie sich innerhalb weniger Sekunden von selbst wieder aufrichten. Getestet wird das bei Stauwasser, dem kurzen Stillstand der Gezeitenströmung. Besteht ein Schiff bei kaum bewegtem Wasser diesen Test, gelingt dies erst recht bei Seegang, der das Wiederaufrichten begünstigt. Dennoch: Für Seenotretter wird es niemals hundertprozentige Sicherheit geben. Seit Gründung der DGzRS 1865 sind 45 Rettungsmänner im Einsatz auf See geblieben. Sie erinnern daran, dass der Seenotrettungsdienst niemals frei von Gefahren sein wird.
Trotz dieses allgegenwärtigem Risikos ist eines immer gegeben: „Wenn das ,Mayday‘ reinkommt, bist du hellwach.“ So hat einmal ein Vormann die Einstellung unserer Besatzungen auf den Punkt gebracht. Auf jeden erdenklichen Notruf lautet die Zuversicht ausstrahlende Antwort der Seenotretter: „Wir kommen!“ Diese bedingungslose Hilfszusage ist eine große Verpflichtung, die unsere Crews immer wieder neu erfüllen. Darauf können sich alle Menschen auf Nord- und Ostsee verlassen.
Handeln, bevor etwas passiert
60 Rettungseinheiten, 55 Stationen, 1.000 Seenotretter und Jahr für Jahr rund 2.000 Einsätze – finanziert ausschließlich durch Spenden und freiwillige Beiträge. Unsere Arbeit erfordert auf See wie an Land beständig große Anstrengungen – und kostet viel Geld, für qualifiziertes Personal und modernste Technik. Vor allem notwendige Investitionen in neue Seenotrettungskreuzer und -boote stellen uns vor große finanzielle Herausforderungen.
Nach dem Leitspruch „Handeln, bevor etwas passiert“ bereiten wir uns deshalb mit Weitblick auf die Zukunft vor. Erforderliche Schiffsneubauten innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre werden, nach heutiger Schätzung und heutigen Preisen, weit mehr als 100 Millionen Euro kosten. Um diese Aufgabe zu meistern, zählt jeder Euro, jede regelmäßige Spende, jeder Nachlass. Denn wir können neue Seenotrettungskreuzer nur dann finanzieren, wenn wir genügend Geld angespart haben. Allen, die uns unterstützen, sagen wir darum herzlichen Dank!