28.04.2021

Freiwilliges Engagement in Pandemie-Zeiten

Patrick Morgenroth drückt das Probenröhrchen leicht zusammen. Ein erster Tropfen aus Nasenabstrich und Pufferlösung fällt in die Vertiefung der Testkassette. Leise zählt der freiwillige Vormann der Station Travemünde mit – bei fünf hört er auf. Jetzt muss er warten: 15 Minuten dauert es, bis der Coronavirus-Schnelltest ein Ergebnis anzeigt. Er blickt kurz aus einem geöffneten Fenster des Stationsgebäudes.

Seenotrettungsboot in voller Fahrt

Mit ihrem Seenotrettungsboot sind die freiwilligen Seenotretter der Station Travemünde auch während der Coronavirus-Pandemie regelmäßig in der Lübecker Bucht unterwegs.

Draußen scheint an diesem Dienstagmittag im April die wärmende Frühlingssonne vom blauen Himmel. Es weht eine schwache Brise, die das Wasser an der Travemündung nur leicht bewegt. Nichts, das einen Seenotretter unruhig werden lässt. Ebenso wenig verursacht der Schnelltest bei Patrick Morgenroth und seinen drei Kollegen einen höheren Puls, er ist für sie Routine. Und: Niemand ist dabei allein – es gilt immer das Vier-Augen-Prinzip. Das Testen ist Teil des umfassenden Sicherheits- und Hygienekonzeptes der DGzRS, mit dem sich der maritime Such- und Rettungsdienst gegen die Coronavirus-Pandemie stemmt. Die Einsatzbereitschaft der Seenotretter ist seit der weltweit rasanten Ausbreitung des SARS-CoV-2 genannten Erregers stets gegeben gewesen – ihre originäre Aufgabe zu keinem Zeitpunkt gefährdet.

Patrick Morgenroth nutzt die Wartezeit: Gemeinsam mit der angehenden Bootsführerin Sabrina Most, Seenotretter Axel Mussehl und Kandidat Christopher Klein bespricht er die nächsten Stunden – gleich wollen sie zu einer Kontroll- und Übungsfahrt raus auf die Lübecker Bucht. Seine Worte dringen gedämpft durch seine medizinische Maske. Diese gehört seit mehr als einem Jahr zum Stationsalltag. Der Vormann und seine Kollegen tragen sie vor Mund und Nase im Stationsgebäude sowie an Bord des Seenotrettungsbootes SRB 80, um sich gegenseitig und Gerettete vor einer Infektion zu schützen.

Das gilt auch, wenn alle gegen das Coronavirus geimpft sind. Manche von ihnen haben das begehrte Serum bereits in den Oberarm gespritzt bekommen, weil sie im Rettungsdienst tätig sind und deshalb die zuständige Kommune den kleinen Pieks beizeiten ermöglicht hat. Für die DGzRS ist das Impfen ihrer Besatzungen ein weiterer wichtiger Bestandteil ihres Sicherheits- und Hygienekonzeptes. Der Schutz ihrer Rettungsleute hat für sie oberste Priorität. Im Zuge ihrer Fürsorgepflicht unterscheidet sie selbstverständlich nicht zwischen fest angestellten Seenotrettern, freiwilligen Seenotrettern und Seenotrettern in Ausbildung, die ebenfalls an Einsätzen beteiligt sein können – das Virus macht diesen Unterschied nicht.

Jeder Handgriff muss sitzen

Zurück zu den Freiwilligen aus Travemünde: Sie üben regelmäßig mit ihrem neuen Seenotrettungsboot, mehrmals in der Woche sind sie auf See unterwegs. SRB 80 hat erst Ende November die HANS INGWERSEN abgelöst, die nun als Springer auf verschiedenen Stationen an Nord- und Ostsee im Einsatz ist. „Wir nutzen die Fahrten, um uns ausführlich mit der umfangreichen neuen Technik an Bord vertraut zu machen. Jeder muss das Boot im Ernstfall aus dem Effeff beherrschen, jeder Handgriff muss sitzen“, erzählt Patrick Morgenroth.

Deshalb ist heute auch Christopher Klein dabei. Der 42-Jährige besitzt als Kandidat zwar schon seine persönliche Schutzausrüstung, aber bei Einsätzen ist er nur dabei, wenn sie bei einem Alarm sowieso gerade wie heute draußen sind. „Zurzeit beschnuppern wir uns gegenseitig und schauen, ob wir gut miteinander arbeiten können. Das geht an Bord am besten“, sagt Patrick Morgenroth. Er schaut auf seine Uhr und nickt den anderen zu.

Die Viertelstunde ist um: In den vier Testkassetten ist lediglich beim „C“ (Control) ein roter Streifen zu sehen, alle vier Tests sind negativ. Beim Weg nach draußen entsorgen sie die Tests. Gemeinsam gehen sie mit Abstand die wenigen Schritte zum Liegeplatz des Seenotrettungsbootes an der Lotsenbrücke. Auf den Weg dorthin ein kurzer Plausch über Privates: Es fallen viel weniger Worte über Familie, Freunde und Hobbys als sie sonst bei den monatlichen Stationsabenden gesprochen werden. Doch diese finden aufgrund der Coronavirus-Pandemie genauso wie die regelmäßigen Grillabende bis auf Weiteres aus Infektionsschutzgründen nicht statt. „Die soziale Komponente fehlt im Moment fast völlig, das ist sehr schade. Schließlich sind die Seenotretter für uns alle wie eine zweite Familie“, sagt Patrick Morgenroth. Dazu gehört sonst selbstverständlich auch: Händeschütteln und eine kurze Umarmung bei der Begrüßung. Jetzt muss ein einfaches Moin genügen, mehr lässt die gegenwärtige Situation nicht zu.

Viele Freiwillige garantieren Einsatzbereitschaft

Am Liegeplatz angekommen, machen die vier SRB 80 klar zum Ablegen: Hauptschalter für die Stromversorgung umlegen, Kommunikations- und Navigationsgeräte hochfahren, Ölstände prüfen, Maschine starten und dann: Leinen los. Gegen 13 Uhr steuert Patrick Morgenroth das 10,1 Meter lange Seenotrettungsboot über die Travemündung in die Lübecker Bucht. In den nächsten rund viereinhalb Stunden erkundet die Besatzung ihr Revier. Dabei hält sie nach Schiffen in Not Ausschau und trainiert verschiedene Abläufe. Heute soll vor allem die angehende Bootsführerin Sabrina Most SRB 80 steuern, um noch größere Sicherheit beim Manövrieren zu bekommen. Derweil kontrolliert Seenotretter Axel Mussehl die medizinische Ausrüstung. Dazu gehört spezielle Schutzkleidung, die die Besatzung generell bei Kontakt mit Erkrankten über der normalen Einsatzkleidung tragen. Denn Schifffahrt ist international. Man kann nie wissen, mit welchen Infektionskrankheiten aus anderen Teilen der Welt die Seenotretter im Einsatz in Kontakt geraten.

Während der Fahrt tauscht die Crew immer wieder ihre Positionen an Bord, damit jeder weiß, was er an welcher Position zu tun hat. Christopher Klein bereitet gerade in der Plicht ein Tau für ein Schleppmanöver vor. Patrick Morgenroth steht neben ihm und erklärt dem Kandidaten die Funktionsweise des Schlepphakens. Die Ausbildung neuer Seenotretter gehört zum Stationsalltag: „Um unsere Einsatzbereitschaft rund um die Uhr und bei jedem Wetter zu gewährleisten, brauchen wir eine große Mannschaft“, sagt der Vormann. Gerade zu Spitzenzeiten kann es immer wieder vorkommen, dass er dringend und schnell zusätzliche Besatzungsmitglieder braucht.

„Wir müssen uns personell verstärken. Deshalb sind wir froh, dass sich Menschen wie Christopher bei uns engagieren wollen“, betont Patrick Morgenroth. Sobald beide Seiten der Meinung sind, dass sie gut zusammenpassen und Christopher Klein als Kandidat sein Seediensttauglichkeitszeugnis vorlegen kann, wird aus ihm ein Trainee. Dann nimmt der Vormann ihn als vierten Mann in den Bereitschaftsplan der Station auf, und der 42-Jährige kann bei Einsätzen als zusätzliches Besatzungsmitglied dabei sein. Auf diese Weise sammelt er weitere wertvolle Erfahrungen. 

Neue Routine

Damit aus ihm ein vollwertiger Rettungsmann werden kann, muss er außerdem noch mindestens zwei Lehrgänge an der Seenotretter-Akademie erfolgreich absolvieren: einen erweiterten Erste-Hilfe-Kurs oder einen aufeinander aufbauenden medizinischen Ersthelferlehrgang und den Schiffssicherheitslehrgang. Die Coronavirus-Pandemie schränkt jedoch auch bei den Seenotrettern die normalen Abläufe ein – zurzeit sind solche Lehrgänge nur mit einer geringeren Teilnehmerzahl möglich.

Nach fast vier Stunden intensiven Trainings legt SRB 80 gegen 16.45 Uhr wieder an der Lotsenbrücke an. Bevor die vier zurück zum Stationsgebäude gehen, machen sie klar Schiff. Dazu gehört seit mehr als einem Jahr das Desinfizieren des Seenotrettungsbootes. Das ist mittlerweile für die freiwilligen Seenotretter genauso zur Routine geworden wie der Coronavirus-Schnelltest vor einer Übungs- und Kontrollfahrt.

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