André Rudat (52) ist neuer Vormann der Freiwilligen-Station Kühlungsborn der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Sein Vorgänger Rainer Kulack (70) legte die Stationsleitung in jüngere Hände – nach 35 Jahren in diesem Amt und 55 Jahren als Seenotretter. Die Freiwilligen suchen dringend Verstärkung.
Nach 35 Jahren als Vormann der Freiwilligenstation Kühlungsborn hat Rainer Kulack (r.) sein Amt an André Rudat abgegeben.
Der 14. November ist für Rainer Kulack in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Tag. Vor 55 Jahren, an seinem 15. Geburtstag, wurde er Seenotretter. Vor 35 Jahren, an seinem 35. Geburtstag, wählte ihn die Mannschaft zum Vormann der Station. Und nun, an seinem 70. Geburtstag, übergibt er das Amt seinem Nachfolger. „Ich ziehe mich leise weinend zurück“, sagt Kulack mit einem Augenzwinkern. Als Bootsführer bleibt er weiterhin Teil der Mannschaft. Wer dem 70-Jährigen zuhört, spürt sofort: Er ist aus tiefstem Herzen Seenotretter und hat in den zurückliegenden 55 Jahren eine Menge erlebt – und durchlitten.
Rainer Kulack ist ein kleiner Junge, als die Fischer in Kühlungsborn zu DDR-Zeiten noch mit reiner Muskelkraft Menschen aus Seenot befreien, während die Ruderrettungsboote bei der DGzRS im Westen längst ausgedient haben. Er verehrt die wettergegerbten Männer. Wenn sie nachmittags am Strand ihren Fang verkaufen und ihre Netze flicken, dann sieht Rainer ihnen zu. Dabei lernt er erste Dinge über gute Seemannschaft und lauscht ihren Erzählungen: „Fast jeder von ihnen war auch Seenotretter.“ Als Teenager wird er einer von ihnen – seitdem ist er mit Leib und Seele dabei.
Rainer Kulack ist in den Sturm hineingefahren und hat Leben gerettet, obwohl er selbst verletzt auf der Brücke stand, der Schmerz betäubt vom Adrenalin. Er hat Menschen beruhigt, die vor Angst fast wahnsinnig waren. Er hat mit Nerven wie aus Stahl mehrere Boote auf einmal durch den Sturm in den Hafen gezogen. Er hat die Beerdigung seines Vaters verpasst, um drei unterkühlte Angler von einem gekenterten Boot zu retten. Er ist ein Mensch voll Energie und Ideen. Einige familiäre Beziehungen haben unter seinem Engagement gelitten, sagt er wehmütig. Trotzdem: Leben retten steht für ihn über allem anderen, auch über dem eigenen. „Für mich ist das mein Herzblut, bis zum heutigen Tag.“
Die Welt der Seenotretter hat sich stark verändert, seit Rainer Kulack als kleiner Junge am Strand stand und die Männer im Ruderrettungsboot bewunderte. In der Stationschronik wurde festgehalten: Rund 200 Leben retteten die Kühlungsborner Seenotretter unter Kulacks Führung, rund 2.000 Menschen befreiten sie aus Gefahren – zuletzt die sieben Seeleute des brennenden Öltankers „Annika“ am 11. Oktober 2024. Er selbst hat ein Talent dafür, davon zu erzählen: mit norddeutschem Einschlag in der Sprache, Spannungsbogen im Erzählstrang, Selbstironie. Eines jedoch sagt er vollkommen ohne Witz und Ironie: „Ohne vernünftige Rettungsleute kannst du kein guter Vormann sein!“
Immer heil zurückkommen
Genauso wie Rainer Kulack ist auch sein Nachfolger André Rudat in Kühlungsborn aufgewachsen. Der 52-Jährige kennt noch das rigide DDR-Grenzsystem aus eigenem Erleben: Bis zur Wende ist die nahe Ostsee für die meisten Menschen tabu, gerade mal Baden erlauben die totalitären Machthaber – niemand soll auf die Idee kommen, die Heimat übers Meer zu verlassen. Trotz allem: „Ich hatte eine schöne Kindheit, ich kannte es ja nicht anders.“
Auch wenn André Rudat nicht von Kindesbeinen an mit einem eigenen Boot auf dem Wasser ist, zieht ihn der endlose Horizont an. Er will sehen, was dahinter ist: „Ich wollte raus, die Welt entdecken.“ Deshalb will er nach seinem Schulabschluss eigentlich zur Deutschen Seereederei (DSR) in Rostock. Doch er bekommt die notwendigen Papiere nicht. Also heuert der damals 16-Jährige als Matrose bei der Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei in Rostock (BBB) an. Jetzt darf er immerhin bis zu zehn Seemeilen raus auf die Ostsee. Wenig später stürzt die friedliche Revolution das repressive DDR-Regime.
André Rudat wechselt nach Lübeck zur Reederei „Poseidon“, macht sein Patent zum Schiffsmechaniker, bleibt in der Seefahrt. Nach verschiedenen Stationen gehört er mittlerweile zur Besatzung der „Seeadler“. Das Fischereischutzboot der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat seinen Liegeplatz in Rostock und ist in der Regel auf der Ostsee unterwegs, um Netze, Fangmengen und Logbücher der Trawler sowie Kutter zu kontrollieren. Meist ist er für zwei Wochen an Bord, danach hat er einige Tage frei, bevor es wieder auf See geht.
Dadurch bleibt ihm genügend Raum für sein forderndes Ehrenamt bei den Seenotrettern. Seit 2009 streift sich der Seemann regelmäßig die rote Rettungsweste mit DGzRS-Logo über – zuvor hat er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr im Ort engagiert. „Ich hatte schon immer mit den Seenotrettern geliebäugelt“, erinnert er sich. Den Ausschlag für den Wechsel gibt ein Gespräch mit einem Bekannten, der selbst freiwilliger Rettungsmann auf der Station Kühlungsborn ist.
In den zurückliegenden 15 Jahren hat André Rudat viele Einsätze miterlebt: „Wenn wir alle heil wieder im Hafen sind, gibt mir das ein gutes Gefühl. Es freut mich, anderen Menschen auf See in Not helfen zu können – das ist das Wichtigste.“ Nun tritt er in die großen Fußstapfen von Rainer Kulack, der sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr um die Freiwilligenstation verdient gemacht hat. Daran möchte der neue Vormann anknüpfen. Dazu gehört für ihn: den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft stärken, neue Menschen für das Ehrenamt begeistern und das Training der Seenotretter vor Ort weiter ausbauen. „Um unsere Mannschaft weiter zu verjüngen, wünschen wir uns neue Kolleginnen und Kollegen“, sagt André Rudat. Wer sich ebenfalls freiwillig auf der DGzRS-Station Kühlungsborn engagieren möchte, kann sich direkt bei den Seenotrettern melden: freiwillige@seenotretter.de.