Erik Sander aus Kehl am Rhein liebt Wasser. Aber Wasser kann schnell zur Gefahr werden. Das weiß der Liedermacher aus eigener Kindheitserfahrung. Dass er als „Binnensegler“ zugunsten der Seenotretter auf Gage verzichtet, hat nicht zuletzt darin tiefe Wurzeln. Sein Engagement mit Gitarre und Gesang auf maritimen Veranstaltungen macht den erfolgreichen Musiker selbst zum Seenotretter. Landauf, landab zu musizieren und damit Gutes zu tun, das ist seine Freiheit – noch etwas, was ihn mit den Seenotrettern eng verbindet.
Sie leben in Kehl am Rhein, einer Stadt mit einem wichtigen Binnenhafen. Hat man dort – obwohl im Ländle – beinahe automatisch mit Schifffahrt zu tun?
Na ja, bei Kehl denkt man vielleicht zuerst an die herrliche Lage zwischen Schwarzwald und Vogesen, an kulinarische Köstlichkeiten und den guten badischen Wein, aber abgesehen davon gehören Schiffe für mich zu meinem Leben, seit ich denken kann. Ich habe schon als Kind gerne Schiffe gemalt. Vielleicht lag es auch daran, dass meine Oma gerne mit dem Paddelboot auf dem Haltener Stausee unterwegs war. Mein Ur-Urgroßvater war einer der letzten Lippeschiffer. Und ich bin Segler geworden, Binnensegler sage ich immer mit einem Augenzwinkern, gerne auf dem Rhein. Ich hab’s einfach mit Wasser.
Wasser, große Flüsse, die weite See sind das eine. Weit draußen auf See Menschenleben zu retten, ist noch einmal etwas ganz anderes. Wie sind Sie als Binnenländer, ja Binnensegler, wie Sie sagen, mit den Seenotrettern auf Nord- und Ostsee in Kontakt gekommen?
Als Elfjähriger war ich mit meinen Eltern in der Normandie. Wir Kinder haben an der Küste angeln gespielt. Wir sind auf einen Felsen geklettert – heimlich. Dann kam die Flut, sehr schnell. Sie hat uns den Rückweg fast abgeschnitten. Wir mussten uns durch brusthohes Wasser kämpfen. Als Elfjähriger war das eine krasse Erfahrung. Alles ging so schnell – es war sehr viel Wasser überall.
Engagieren Sie sich bereits seit damals für die Seenotretter?
Ganz genau weiß ich nicht mehr, seit wann. Aber es gibt ein Bild von mir, da war ich 15, mit meiner ersten Gitarre. Die habe ich witzigerweise in Bremen gekauft, der Heimat der Seenotretter. Damals, Mitte der achtziger Jahre, hatten alle Aufkleber auf Instrumenten. Auf meiner Gitarre war ein Aufkleber der Seenotretter. Als Student wurde die Verbindung zur DGzRS stärker. Und als ich angefangen habe zu arbeiten, bin ich regelmäßiger Förderer geworden.
Wie sind Sie darauf gekommen, Ihre Musik in den Dienst der Seenotretter zu stellen?
2013 habe ich für ein Hafenfest ein paar Lieder geschrieben, für den Wassersportclub Goldscheuer, einen Segelverein, in dem ich aktiv bin. Das war eigentlich eher ein Gag, aber so erfolgreich, dass ich weitere Lieder geschrieben habe. Als 2015 die Seenotretter 150 Jahre alt wurden, wollte ich mehr tun. Zwar steht das Sammelschiffchen der DGzRS auch bei uns im Verein, aber das war mir zu wenig. Ich habe angefangen, bei Konzerten Geld für die Seenotretter zu sammeln, statt selbst Gage zu nehmen – erst mal nur im Jubiläumsjahr, und dann habe ich einfach nicht mehr aufgehört damit.
Was macht Ihre Musik besonders? Passt sie gut zu den Seenotrettern?
Es ist nicht die Art Musik, die man vielleicht traditionell im Umfeld der Seenotretter erwartet. Mit Seebären an Nord- und Ostsee verbindet man ja am ehesten Shantys. Ich mache genau das Gegenteil. Meine Musik ist eine reine Liedermacher-Sache, nur mit Gitarre, ohne Netz und doppelten Boden. Meine Lieder erzählen Geschichten über Situationen, die sicher jeder kennt. Sie handeln von „bierernsten“ Clubregatten, von hämischer Schadenfreude über missglückte Manöver anderer, von Bootsmessen und Ausstatter-Katalogen, von Hafenkino, Hafenbräuten und Hafenkapitänen. Und meine Segel-Lern-Songs behandeln Begriffe und Manöver, die jeder kennen sollte – auch das den Seenotrettern besonders nahe Thema Safety first, Sicherheit zuerst.
Wie oft spielen Sie für die Seenotretter, und wie reagieren die Menschen auf Ihr Engagement?
Bisher habe ich mehr als 100 Konzerte für die Seenotretter gegeben, alles Auftritte bei Hafenfesten, Feiern von Segelvereinen, manchmal nur mit 20 bis 30 Zuhörern, meistens glücklicherweise etwas mehr. Aber gerade bei kleinen Veranstaltungen spüre ich, wie gern die Leute spenden. Man kommt ins Gespräch. Das ist toll.
Ein greifbares Spendenziel hilft. Ich erzähle auch gern, was ein Seenotrettungskreuzer kostet, wenn er unter Volllast fährt. Die Vorstellung, dass die letzten Meter im Einsatz durch meine Spende finanziert wurden, ist vielleicht etwas naiv, aber trifft indirekt ja zu. Und das ist eine sehr schöne Vorstellung.
Sie leisten also viel Überzeugungsarbeit und begeistern Menschen. Wie entstand die Idee, dabei um Spenden zu bitten?
Ich würde mich fast schämen, wenn ich für die Musik, also das Schönste, was ich habe, für meine Leidenschaft, Geld verlangen würde. Denn es ist ja ein Hobby. Ich mache es nicht professionell. Das ist wunderbar, zwanglos. Wenn ich mir vorstelle, wie ich früher als Musiker mit dem Veranstalter um 50 Euro Gage mehr oder weniger gefeilscht habe, das ist jetzt viel besser. Ich komme da abends hin, mache Musik, erlebe ein schönes Fest und tue etwas Gutes. So habe ich bisher eine fünfstellige Spendensumme gesammelt. Und ich lerne Segler und andere Wassersportler kennen, Regatten, Reviere. Wie käme ich sonst aus dem Südwesten Deutschlands zu Berliner Segelvereinen? Das ist ein Gewinn für alle Seiten.
Was fasziniert Sie persönlich an den Seenotrettern?
Die Unabhängigkeit und die Freiwilligkeit, ich bewundere die Haltung: „Wir müssen das machen, aus Pflichtgefühl. Wir sind in keiner Weise gebunden, sondern rein spendenfinanziert.“ Das gefällt mir sehr gut. Das ist Ehrenamt pur. Und dieser Slogan „Wir können das, wir machen das.“ Das ist auch etwas, in dem ich mich wiederfinde, was ich für mich auch in Anspruch nehmen würde.
Welche Rolle spielen die Werte, die Sie an den Seenotrettern schätzen, insgesamt in Ihrem Leben?
In unserem Garten zum Beispiel darf auch Unkraut wachsen. Da sollen Bienen sein und andere Insekten, ich mache auch ein wenig Imkerei. Ohne Brennnesseln gibt es keine Schmetterlinge – ein Garten darf nicht zu sauber sein. Ich möchte möglichst viel für den Hausgebrauch aus dem eigenen Garten holen – unabhängig und eigenverantwortlich wie die Seenotretter: dem Leben helfen, bedingungslos, ohne Hintergedanken. Ich sehe das grundsätzlich: Ich lebe in einer Welt mit anderen, die auch leben wollen. Und dabei ist mir wichtig: keine Verbissenheit, sondern eine Leichtigkeit. Ich bin im Vorstand unseres Segelvereins und gestalte aktiv mit, ernsthaft, aber ohne Verbissenheit. Das habe ich bei den Seenotrettern auch erlebt. Die gehen professionell und mit höchster Ernsthaftigkeit in die Einsätze. Aber da gibt es keine Verbissenheit im Gespräch oder beim Spendensammeln. Mit denen kann man quatschen. Das mag ich.
Diese Wertschätzung für das, was die Seenotretter tun – wie erklären Sie das jemandem, der die DGzRS nicht kennt?
Wenn jemand gar keine Ahnung hat, würde ich vielleicht damit anfangen, was die Seenotretter nicht sind. Sie sind kein Abschleppdienst, sondern ein Rettungsdienst. Sie sind sehr wichtig, weil auf Nord- und Ostsee sehr viele Schiffe fahren. Und wo viele Schiffe fahren, gibt es auch viele Unglücksfälle. Wer auf See ein Problem hat, der kann schnell in große Gefahr geraten. Seenotrettung setzt großes Können und eine gute Infrastruktur voraus. Die Seenotretter gibt es seit 1865 – als Verein! Man muss sich das Gründungsjahr auf der Zunge zergehen lassen. Das ist das Jahr, in dem die Sklaverei in den USA abgeschafft wurde. Große Teile der Nord- und Ostseeküste gehörten damals zum Königreich Preußen. Ein geeintes Deutschland gab es noch nicht – aber schon einen einheitlichen Seenotrettungsdienst! Seither haben die Seenotretter eine beeindruckende Infrastruktur geschaffen, und das als unabhängiger Verein. Das ist eine unglaubliche Leistung. Längst hat der Staat den Auftrag zur Seenotrettung an die DGzRS übertragen.