Sägen, kleben, streichen
Die Schiffe der Seenotretter haben viele Fans. Manchen reicht es allerdings nicht, sie zu sehen oder Fotos von ihnen zu machen. Sie möchten eigene Seenotrettungskreuzer oder -boote besitzen – und bauen in mühevoller Kleinarbeit Modelle der großen Vorbilder. Woher die Begeisterung kommt, warum sie keine noch so schwierige Maßarbeit scheuen und dass ihr Hobby bei Weitem nichts für Einzelgänger ist, haben uns drei Modellbauer erzählt.
Die Sonne strahlt, es ist windstill. Der Bug des Motorrettungsbootes AUGUST NEBELTHAU schneidet durch die glatte See. Während die Maschine rhythmisch tuckert, gehen die Seenotretter an Bord Routinearbeiten nach; sie loten die Wassertiefe mit einer Stange und überprüfen die Signalpistole. Diese Szene spielt sich im Jahr 2021 ab – doch wie kann das sein? Schließlich lief die AUGUST NEBELTHAU bereits 1942 auf eine Seemine, dabei starb ihr Vormann Hans Hartmann.
Möglich macht es Rolf Schneider aus Bremen. Der Elektriker hat keine Zeitmaschine gebaut, sondern ein enorm detailverliebtes, ferngesteuertes Modell des Motorrettungsbootes samt Besatzung. Der Vormann en miniature trägt eine Mütze aus Knete, die Korkwesten der Kollegen sind aus Balsaholz – das sieht man ihnen allerdings nicht an. Schneider legt viel Wert auf Details und probiert häufig Dinge solange aus, bis alles möglichst originalgetreu ist.
Dass das Vorbild des stolzen 1,5 Meter langen Modells schon 80 Jahre alt ist, kommt nicht von ungefähr. „Mich haben immer die älteren Schiffe der DGzRS interessiert“, erläutert der 55-Jährige. „Ich finde sie von der Form her schöner und mag es, wenn das eine oder andere Stück Holz verbaut ist.“ Mit einem Lächeln fügt er hinzu: „Das ist durchaus maritime Romantik.“ Das alte Sprichwort „Gut’ Ding will Weile haben“ trifft auf Schneiders Werk ebenfalls zu: „An der AUGUST NEBELTHAU habe ich so elf, zwölf Jahre gearbeitet, mit längeren Pausen dazwischen.“ Natürlich wurde nicht täglich gebastelt: „Es ist für mich ein Hobby, dass ich nur mache, wenn ich richtig Lust dazu habe.“
Ein Frankfurter mit Herz für Seefahrt
Modellbauer sind eben selten Sprinter, sondern vielmehr Langstreckenläufer. Das gilt auch für den Frankfurter Jürgen Meuser, der im Sommer 77 Jahre alt wird. Schon seit seiner Kindheit fasziniert es ihn, große Dinge im Kleinen nachzubauen. „Mein Opa hat immer gebastelt und gebaut, das hat sich irgendwie übertragen. Schiffe haben mich früh begeistert, da stand mein Thema schnell fest.“ Wie ein Hesse zur Seefahrt kommt? Das weiß Meuser auch nicht genau, erzählt er und schmunzelt. Allerdings erinnert er sich an Filmvorträge in der Volksschule über die Seenotretter. „Da habe ich Blut geleckt!“
Das erste DGzRS-Modell wird der Seenotrettungskreuzer THEODOR HEUSS – Jürgen Meuser hat es noch heute. Es folgen weitere Seenotretter-Klassiker wie der Versuchskreuzer BREMEN oder die WILHELM KAISEN. Mit den selbst gebauten Schiffen geht es oft zum Weiher im Frankfurter Ostpark, wo die ersten Probefahrten stattfinden. Oft in Begleitung seiner Frau, die sein Hobby zwar nicht teilt, aber gutheißt: „Sie hat zu anderen immer gesagt: ‚Ich weiß dann wenigstens, wo ich ihn finden kann. Nicht in der Kneipe, sondern im Keller!‘“
Dort entstehen bis heute die meisten von Meusers Schiffen, deren Rümpfe er meist im Fachhandel kauft und dann individuelle Aufbauten aus Plastik oder Platten aus glasfaserverstärktem Kunststoff daraufsetzt. Eines seiner jüngsten Projekte ist ein vollständig vorgegebener Bausatz der HERMANN MARWEDE. Dieser ist im Handel erhältlich, doch Jürgen Meuser macht immer etwas Individuelles daraus – im Fall des größten Seenotrettungskreuzers der DGzRS ist es ein Diorama. „Das sieht einfach schöner aus, wenn es lebendig wirkt und nicht nur das Schiff allein ist“, findet Meuser. „Ich versuche dann, mich in das Modell hineinzuversetzen, als wäre ich selbst vor Ort.“
Gemeinsam statt allein
Stellvertretend für ihn sind lediglich wenige Zentimeter große Figuren an Bord, die ihren Kollegen auf dem Tochterboot Leinen zuwerfen, während ein weiteres Seenotrettungsboot die Szene begleitet. Die Modelle stehen auf – genauer gesagt: in – einem dicken Styroporblock, der mit verschiedenen Dispersionsfarben in Meeresblaunuancen getaucht ist. Ein spezieller Leim lässt sich so bearbeiten, dass scheinbar weiße Schaumkronen auf den Wellen tanzen. Der besondere Clou ist erst zu sehen, wenn Jürgen Meuser das Umgebungslicht löscht: Positionsleuchten, Strahler und Lampen auf einigen Kammern erstrahlen. Dabei hat sich Meuser helfen lassen: „Ein Freund hat die ganze Elektronik gemacht, das könnte ich selbst gar nicht.“
An diesem Beispiel wird deutlich: Das Klischee vom Eigenbrötler, der den ganzen Tag allein im dunklen Verschlag vor sich hinwerkelt, erfüllt Jürgen Meuser nicht. Das ist ihm wichtig: „Modellbau ist ein gemeinschaftliches Hobby.“ 1975 ist er deshalb sogar einem Modellbauclub beigetreten. „So lernt man viele Gleichgesinnte kennen, tauscht sich aus, fährt zu Treffen im ganzen Land, und jeder hilft dem anderen, wenn er mal nicht weiterkommt.“ Mehrere Jahrzehnte lang gehört Jürgen Meuser zu einer Modellbaugruppe, die sich ganz den DGzRS-Einheiten verschrieben hat, auf zahlreichen Messen und Veranstaltungen ihre Nachbauten präsentierte und Gäste mit den Miniversionen der großen Rettungseinheiten in ihren Bann zog. Aus verschiedenen Gründen löste sich die Gruppe 2015 auf.
Bis heute weiter Bestand hat die Interessengemeinschaft DGzRS im Maßstab 1:10, kurz „IG 1:10“, die Rolf Schneider 2007 mitgegründet hat (Kontakt: post@ig-dgzrs-masstab-1zu10.de). Mindestens einmal im Jahr richten die Mitglieder ein Treffen an einem See oder großen Teich aus, auf dem die Modelle den ganzen Tag in Bewegung sind. Nach langer Pandemiepause gingen die Miniatur-Rettungseinheiten im Mai 2022 endlich wieder zu Wasser: dieses Mal auf dem Springhorstsee im niedersächsischen Burgwedel bei Hannover.
Einige 1:10-Modelle wie das eines 28-Meter-Seenotrettungskreuzers von Gerd (l.) und Tim Lankhorst müssen wegen ihrer Größe per Anhänger transportiert werden (oben links). Auf „Bootswagen“ bringen die Modellbauer ihre Schiffe zum Ufer (oben rechts). Dort lassen sie sie dann zu Wasser. Fotos: Martin Stöver
Nah am Original
Der Name der Gruppe ist Programm: Die Modelle sind lediglich zehnfach verkleinert. So misst etwa der gut 23 Meter lange Seenotrettungskreuzer HERMANN RUDOLF MEYER stolze 2,30 Meter als Modell – das muss auf einem Autoanhänger bewegt werden, anders lässt es sich nicht transportieren. „Bei mir ist bei 1,50 Meter Schluss“, sagt Rolf Schneider. Größeres passe bei ihm nicht ins Haus. Manche Modelle können zum Transportieren auch in zwei oder mehr größere Teile zerlegt werden. Doch warum dieser „Gigantismus“ im Kleinen? „So lassen sich die Details besser und intensiver darstellen.“ Auch auf die Bewegung habe das großen Einfluss: „Das Fahrbild ist ein ganz anderes, es entstehen richtige Wellen und die Schiffe hüpfen nicht so übers Wasser. Das kommt dem Original viel näher.“
Um dem Original aber überhaupt nahekommen zu können, müssen Modellbauer es kennen. Schneiders IG-Kollegen, die gerade an Modellen der H.-J. KRATSCHKE und der HANS LÜKEN arbeiten, haben weit über 1.000 Fotos gemacht und gesammelt. „Einige ziehen das Abbilden wirklich bis zur letzten Schraube durch“, sagt er mit Anerkennung. Die H.-J. KRATSCHKE, die als Museumskreuzer auf dem Gelände der DGzRS-Zentrale in Bremen steht, wurde Zentimeter für Zentimeter abgemessen.
Der Bau selbst erfordert im gleichen Maße Präzision, weiß Michael Weimann, ebenfalls aus Bremen. Der 57-Jährige ist schon als Kind von den Seenotrettern begeistert: Wenn in seiner Schule im Schnoorviertel Mittagspause ist, geht es mit Freunden an die Weser, um zu beobachten, was an der Zentrale der DGzRS gerade los ist. Nach ersten Versuchen als Jugendlicher liegt sein Hobby lange Zeit auf Eis. „Sachen wie eine Fernsteuerung waren für mich damals unerschwinglich“, erinnert sich Weimann. „Erst mit 42 Jahren fiel mir wieder ein, dass ich einen unfertigen Bausatz der PAUL DENKER noch im Keller hatte.“
Vogel inklusive
Die alte Leidenschaft flammte wieder auf – und zündete sozusagen durch. Neun Modelle sind seitdem dazugekommen, alle im Maßstab 1:10. Doch selbst da gibt es Dinge, die immer noch winzig sind. „Nieten an Fenstern sind zum Beispiel aus Stecknadelköpfen. Kleine Bohrlöcher, die durch Fensterscheiben, Dichtungen und Rumpf gehen, messen gerade einmal 0,5 Millimeter.“ Da das von Hand kaum zu machen sei, lässt sich Michael Weimann von einem befreundeten Modellbauer helfen, der eine Fräse dazu benutzt.
Bei seinem aktuellen Projekt gibt es keinen vorgefertigten Rumpf, auf dem Michael Weimann aufbauen kann: Es ist ein Seenotrettungskreuzer der 28-Meter-Klasse im Maßstab 1:20. „Größer ist sonst schwer zu handhaben. So misst das fertige Ergebnis schon 1,40 Meter und wiegt zwölf Kilo“, erklärt Weimann seine Entscheidung.
Den Bauplan kaufte er im Onlineshop der Seenotretter, daran richtet er alles aus. Der Rohbau seines ersten eigenen Seenotrettungskreuzers – die bisherigen Eigenbauten waren allesamt Seenotrettungsboote – ist inzwischen fertig, die ersten Lackschichten sind schon aufgetragen. „Ich nutze Lacke aus der Automobilbranche. Damit kann ich nur an wärmeren Tagen arbeiten, wenn man das Haus anschließend auch lange durchlüften kann.“ Modellbau erfordert manchmal eben einige Opfer.
Bis zu drei Jahre kann es dauern, bis Michael Weimann mit einem Modellschiff fertig ist. Geduld sollte ein Bastler eben mitbringen – und er sollte mit dem Herzen dabei sein, er lacht und sagt: „Wir haben einfach alle einen Vogel!“
Wie ein Modell
eines Seenotrettungskreuzers entsteht
Um einen Seenotrettungskreuzer im Kleinen nachzubauen, gibt es Dutzende verschiedene Wege. Beispielhaft zeigen wir die wesentlichen Schritte, die zwei Mitglieder der Interessengemeinschaft DGzRS im Maßstab 1:10 nutzen, um Rettungseinheiten der 19-Meter-Klasse im Modell entstehen zu lassen.