„Das für die Station bestimmte Boot ist bereits am 27. October 1874 nach seinem Bestimmungsort gebracht worden. Es ist von Bootsbauer H. Havighorst in Rönnebeck aus cannellirtem Eisenblech gebaut“, ist im Jahrbuch 1874/75 der DGzRS zu lesen. Seit Stationierung des ersten Ruderrettungsbootes im Fischerort Fedderwardersiel sind 150 Jahre vergangen.
Karsten Ohme steht am Liegeplatz des modernen Seenotrettungsbootes EMIL ZIMMERMANN an der Westseite des Hafens. Sein Blick schweift zu den Krabbenkuttern nebenan. Mit ihnen werden die Fischer bald zur nächsten Fangreise auf der Nordsee aufbrechen. Es ist eine malerische Szenerie am Rande der Halbinsel Butjadingen, umrahmt im Westen vom Jadebusen, im Osten von der Wesermündung. Doch die Ruhe kann trügerisch sein, weiß der freiwillige Vormann. Jeden Moment kann ihn die Rettungsleitstelle See der DGzRS über sein Mobiltelefon alarmieren – genauso wie seine elf Kollegen. Dann braucht da draußen jemand ihre Hilfe. So wie Anfang Februar 2021, als eine junge Matrosin nachts vom Containerfrachter „Santa Clara“ über Bord stürzt.
Ein schwerer Sturm peitscht mit Böen von zehn Beaufort – mehr als 100 Stundenkilometer – über die Nordsee. Bei Minusgraden vereist das Seewasser auf den Scheiben des Seenotrettungsbootes EMIL ZIMMERMANN. Die freiwilligen Seenotretter suchen gemeinsam mit der Besatzung des Seenotrettungskreuzers HERMANN RUDOLF MEYER der Station Bremerhaven, weiteren Schiffen und Hubschraubern nach der jungen Philippinin. Sie finden: nichts. Es gehört zum Alltag der Rettungsleute, auch mit derartigen Einsätzen klarkommen zu müssen. Zuweilen ist die See stärker als der Mensch und alle seine Bemühungen. Trotzdem fahren Karsten Ohme und seine Crew immer raus, wenn sie gerufen werden. Denn sie wissen: Beim nächsten Einsatz können sie wieder erfolgreich sein.
„Jeder hilft dem anderen“
Erfahrungen austauschen, Revier- und Übungsfahrten planen und die Technik der EMIL ZIMMERMANN in Schuss halten: „Wir sind ein eingeschworener Haufen, jeder hilft dem anderen – das gefällt mir“, sagt Vormann Karsten Ohme. Eines steht für ihn immer im Fokus: rund um die Uhr, bei jedem Wetter einsatzbereit zu sein, um Menschen zu retten – auch aus dem Watt, wie im Juli 2018.
Ein Vater spielt mit seinen Söhnen (9, 15) am Abend im Watt vor Fedderwardersiel. Direkt vor dem Strand führt nahezu parallel ein Priel entlang, einer der Wasserläufe, über die das Watt geflutet wird. Während sich um die drei die Dunkelheit senkt, versperrt ihnen der vollgelaufene Priel den Rückweg. Die Strömung ist so stark, dass schwimmen unmöglich, ja lebensgefährlich ist. Sie schreien um Hilfe. Spaziergänger hören die verzweifelten Rufe kurz vor 23 Uhr. Einer von ihnen wählt den Notruf.
Die freiwilligen Seenotretter der Station Fedderwardersiel nehmen Kurs auf die Position der eingeschlossenen Wattwanderer gleich „um die Ecke“. Dem Vater steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals, seine Kinder hält er auf seinen Armen über Wasser und so fest wie es geht. Die Seenotretter nehmen alle drei an Bord und bringen sie an Land. „Niemand ist davor gefeit, eine Situation falsch einzuschätzen, und wir fragen nicht danach, warum jemand in Gefahr geraten ist. Es ist wichtig, dass wir retten können“, betont Karsten Ohme.
Geschichte zum Anfassen
Wenige Schritte vom Liegeplatz der EMIL ZIMMERMANN entfernt liegt der historische Rettungsschuppen der DGzRS. In dem Backsteingebäude wird die bewegende Geschichte der freiwilligen Seenotretter von Fedderwardersiel lebendig. Vor vielen Jahren hat ihn die damalige Besatzung liebevoll restauriert und mit zahlreichen Ausstellungsstücken über die Arbeit der DGzRS ausgestattet. Schmuckstück ist das Motorrettungsboot WILHELMINE WIESE. Es war von 1945 bis 1977 in Fedderwardersiel stationiert. Auch das mit einer Mahagoni-Beplankung gebaute zehn Meter lange und 2,80 Meter breite Boot haben die Rettungsleute selbst aufwendig zu einem eindrucksvollen Zeitzeugnis aufgearbeitet.
Teddy Rohde, einer von Karsten Ohmes Vorgängern, zeigt die WILHELMINE WIESE vielen Gästen des Ortes. Auf die Frage, warum er Seenotretter geworden ist, gibt er eine einfache wie überzeugende Antwort: „Man muss doch helfen, wenn da draußen jemand in Gefahr ist.“ Das ist heute noch genauso wie vor 150 Jahren, als erstmals Rettungsleute von Fedderwardersiel ausliefen, um Menschen aus Seenot zu retten.
Das Programm der Jubiläumsveranstaltung am Samstag, 22. Juni 2024,
ab 11 Uhr anlässlich des Jubiläums 150 Jahre DGzRS-Station Fedderwardersiel:
- Open Ship HERMANN RUDOLF MEYER/Station Bremerhaven, 13 bis 15 Uhr
- Rettungsübung mit dem Seenotrettungsboot EMIL ZIMMERMAN, 13 Uhr
- Informationsmobil der Seenotretter
- Historischer Rettungsschuppen mit Motorrettungsboot WILHELMINE WIESE geöffnet