Christian Stipeldey

Christian Stipeldey

Wie ein Einsatz der Seenotretter auf Nord- und Ostsee abläuft:

NOTRUF - ALARMIERUNG - AUSLAUFEN - SUCHE - RETTUNG - VERSORGUNG

NOTRUF

Sturm über der Nordsee. Auf einem Fischkutter in der Deutschen Bucht dringt nahe der berüchtigten Nordergründe plötzlich viel Wasser ein, ohne dass die genaue Ursache auszumachen ist.

In diesem gefährlichen Seegebiet mit vielen Sandbänken wechseln sich flache und tiefe Stellen ab, weshalb sich die See dort bei Sturm zu sehr hohen Wellen auftürmt. Alles geht sehr schnell. Den drei Fischern an Bord gelingt es noch, einen Notruf abzusetzen.

Dann müssen sie ihr Schiff verlassen und in die Rettungsinsel gehen. Dabei stürzt einer der Seeleute in die aufgewühlte See. Die Nordsee ist sieben Grad kalt, viel Zeit für die Rettung bleibt da nicht ... Der Notruf geht über den international einheitlichen UKW-Sprechfunk Not- und -Anrufkanal 16 in der von der DGzRS betriebenen deutschen Rettungsleitstelle See, dem Maritime Rescue Co-ordination Centre (MRCC) Bremen, ein. Zum MRCC Bremen gehört die Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio, die rund um die Uhr die Hörwache sicherstellt.

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Foto: Steven Keller

ALARMIERUNG

MRCC Bremen alarmiert sofort die nächstgelegenen Seenotrettungskreuzer der DGzRS auf den Stationen Deutsche Bucht/Helgoland, Hooksiel und Bremerhaven.

Außerdem sendet Bremen Rescue Radio ein Mayday Relay aus, um die gesamte Schifffahrt im Revier zu alarmieren. Unvollständig, aber doch hörbar empfangen die Seenotretter über Funk die Nachricht, dass einer der drei Fischer in der See treibt – dann versagt das Handfunkgerät der beiden anderen in der Rettungsinsel. An Bord der rund um die Uhr besetzten Seenotrettungskreuzer haben die Besatzungen, die ebenfalls Hörwache gehen, den Notruf bereits mitgehört.

Foto: Steven Keller

AUSLAUFEN

Als nur kurz nach dem Notruf die Auslaufbitte der Rettungsleitstelle See über Funk an Bord der Seenotrettungskreuzer eintrifft, laufen dort bereits die Maschinen. Schon tragen die Seenotretter schweres Wetterzeug und Rettungswesten.

Sie trennen die Landstromverbindungen und werfen die Leinen los. Innerhalb weniger Minuten verlassen die Rettungseinheiten ihre Stationen. Draußen werden sie sofort unsanft empfangen. Der Sturm weht mit neun, in orkanartigen Böen bis elf Beaufort, See: drei bis vier Meter – „Schietwetter“.

Die Sicht ist durch heftige Regenschauer stark eingeschränkt. Himmel und See haben nahezu dieselbe Farbe. Der Seegang nimmt rasch zu, schwere Brecher überspülen immer wie - der das Deck. Parallel zum Auslaufen der eigenen Einheiten alarmiert MRCC Bremen einen SAR-Hubschrauber (SAR = Search and Rescue, Suche und Rettung) der Marineflieger.

Foto: Kai Twest, BSH

SUCHE

Glücklicherweise haben die Fischer eine klare Positionsangabe übermittelt. Doch die Seenotretter müssen davon ausgehen, dass ihr Kutter mittlerweile „auf Tiefe“ gegangen, also gesunken ist.

Die Rettungseinheiten suchen eine Rettungsinsel – und einen einzelnen Mann in der kochenden See. Den Seenotrettern ist angesichts ihrer langjährigen Erfahrung klar: Dieser Einsatz wird kein Spaziergang. – Die Rettungsleitstelle See berechnet anhand der letzten bekannten Position sowie der dort herrschenden aktuellen Drift- und Strömungsverhältnisse ein Suchgebiet.

Weitere Schiffe in der Nähe des Unglücksortes melden sich und bieten ihre Hilfe an. MRCC Bremen bestimmt den als erstes im Suchgebiet eintreffenden Seenotrettungskreuzer zum On Scene Co-ordinator (OSC), dem Einsatzleiter vor Ort, der sämtliche zur Verfügung stehenden Schiffe und Luftfahrzeuge koordiniert. Auf allen Seenotrettungskreuzern ebenso wie auf den anderen beteiligten Schiffen sind die Ausgucke besetzt. Die Seenotretter starren ins Nichts – eine schnell ermüdende Tätigkeit in diesem eintönigen Umfeld mit geringer Sicht.

Immer wieder krachen grüne Wellen übers Vorschiff, also nicht das mit Luft durchsetzte Gischtweiß der Brecher, sondern die ungebrochene Wucht der Wogen. Dennoch: Mit mathematischer Präzision suchen die Schiffe in parallelen Streifen, deren Breite so gewählt ist, dass Schiffbrüchige zwischen zwei Sucheinheiten im mehrere Meter hohen Seegang nicht übersehen werden. Der Hubschrauber trifft ein und fliegt darüber koordinierte Kurse, um das Suchgebiet aus der Luft abzudecken.

Bei regnereischem, schlechten Wetter steht ein Seenotretter mit Mütze auf einem Ausguck und blickt mit einem Fernglas über die aufgewühlte See.
Foto: Steven Keller

RETTUNG

Plötzlich tauchen etliche treibende Fischkisten im Wasser auf – die Unglücksstelle muss in der Nähe sein. Da! Ein Seenotretter erblickt durchs Glas die orange leuchtende Rettungsinsel. Wild tanzt sie auf den Wellen. Ein ganzes Stück davon entfernt blinkt das schwache Licht einer Rettungsweste – der im Wasser treibende dritte Fischer. Sofort wird das Tochterboot klargemacht und über die Heckwanne zu Wasser gelassen. Während es Kurs auf den im Wasser treibenden Schiffbrüchigen nimmt, macht der Seenotrettungskreuzer Lee für die Rettungsinsel, gibt ihr also Windschutz. Über die Bergungspforte des Tochterbootes nehmen die Seenotretter den einzelnen Fischer an Bord. Dann gehen sie bei der Rettungsinsel längsseits und bergen die beiden anderen Schiffbrüchigen ab.

Fotos: Thomas Steuer

Seenotrettungskreuzer HANS HACKMACK im Einsatz

VERSORGUNG

Zurück geht es zum Seenotrettungskreuzer. Das Tochterboot bringt die Geretteten an Bord. Sie sind durchnässt und unterkühlt. Im Bordhospital erhalten sie Decken, trockene Kleidung und warmen, nicht zu warmen Tee.

Ein als Rettungssanitäter ausgebildeter Seenotretter untersucht die Schiffbrüchigen, während der Seenotrettungskreuzer bereits Kurs auf den Hafen genommen hat. Die Körpertemperatur der Geretteten ist kritisch. Auf der Brücke „liegen die Hebel auf dem Tisch“, der Seenotrettungskreuzer macht volle Fahrt, um schnell den Hafen zu erreichen. Dorthin haben die Seenotretter bereits einen Rettungswagen zum Liegeplatz bestellt.

Er bringt die Geretteten zur weiteren Versorgung in ein Krankenhaus. Alle anderen beteiligten Einheiten kehren ebenfalls auf ihre Stationen zurück. Dort heißt es für alle: zügig aufklaren, denn der Sturm ist noch nicht vorbei, es kann jederzeit wieder losgehen. „Du weißt nie, was kommt“, heißt es nicht ohne Grund bei den Seenotrettern

Foto: Steven Keller

Seenotfälle

Jahr für Jahr fahren die Seenotretter rund 2.000 Einsätze auf Nord- und Ostsee. Wir fahren oft gerade dann raus, wenn andere den Schutz des sicheren Hafens suchen – rund um die Uhr und bei jedem Wetter. Wir retten Schiffbrüchige aus Seenot. Wir befreien Seeleute, Fischer und Wassersportler aus Gefahren. Wir versorgen Verletzte und Kranke.

„Du weißt nie, was kommt. Aber auf unsere Crew kann ich mich verlassen.“

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