Ein Seenotrettungskreuzer entsteht
Es ist viel komplizierter, ein Schiff zu bauen als beispielsweise einen Lastwagen. Denn eine Werft baut nur sehr wenige ähnliche Schiffe, vor allem für die Seenotretter. Auch dauert es sehr lange – fast ein ganzes Jahr – bis beispielsweise ein 28 Meter langer Seenotrettungskreuzer fertig ist. Er besteht komplett aus seewasserbeständigem Aluminium. Die Fotos und Filme in unserem Werft-Tagebuch zeigen exemplarisch die wichtigsten Schritte von der Kiellegung über den Maschineneinbau bis zur Taufe.
Früher lag eine Münze unter dem Kiel und wurde während der Bauzeit plattgedrückt. Heute findet sie bei der jetzt üblichen Bauweise „kieloben“ in einer Sektion des Neubaus ihren Platz. Sie soll den Schiffbauern und der Besatzung Sicherheit, Glück und Gesundheit bringen. Bei dem neuen Seenotrettungskreuzer für den Darß, der neuen NIS RANDERS, hat eine freiwillige Seenotretterin das Geldstück in eine spezielle Öffnung eines Schots gelegt. Diese Stelle verschließt normalerweise ein Werftarbeiter mit einer Platte. Auf ihr steht die Baunummer der Werft für diesen Neubau (N.B.). Bei der NIS RANDERS durfte das ein freiwilliger Seenotretter machen.
In der Werfthalle liegt ein großes Aluminiumgerippe auf einer sogenannten Helling (Baumalle). An einigen Stellen leuchtet ein hellgrüner Lichtbogen auf. Es knistert, zischt, riecht leicht nach angebranntem Metall. Der Schweißdraht in der linken Hand des Werftarbeiters wird immer kürzer, bald muss er ihn nachführen. Ein weiteres Stück von ungezählten Drahtmetern, die die Schweißer für den Bau eines neuen Seenotrettungskreuzers verbrauchen. Aus Tausenden von Einzelteilen setzen sie den Rumpf des Neubaus zusammen. Und manchmal legen sie Brenner und Draht beiseite, nehmen die Fernbedienung der Hallenkrane – so heißt die Mehrzahl von Kran in der Fachsprache – in die Hand und setzen zwei separat entstandene Rumpfsektionen aufeinander.
Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, wird der untere Teil eines neuen Seenotrettungskreuzers am Anfang über Kopf gebaut. Der Teil des Spezialschiffes, der später unter Wasser ist, ist anfangs oben. So können die Arbeiter die vorgefertigten Aluminiumplatten besser auf das feine Netzspantengerüst legen und alles miteinander verschweißen.
Imposanter Anblick im Betriebsteil Bardenfleth der Fassmer-Werft: Ein Mobilkran hält den rund 30 Tonnen schweren Rumpf für einige Minuten in der Luft – lediglich an zwei Kettenseilen hängend, die jeweils an einem Hebeauge eingehakt sind. Dieser spektakuläre Moment ist immer dann zu beobachten, wenn die Schiffbauer den Rumpf eines neuen Seenotrettungskreuzers von „kieloben“ auf „kielunten“ drehen.
Das ist notwendig, weil der Neubau zunächst falsch herum auf seiner Helling liegt – mit dem Kiel nach oben. So nennen Schiffbauer den Teil, der ein Schiff ganz unten am Rumpf von vorne bis hinten verbindet. Vom Kiel gehen sogenannte Spanten ab – sie sind so etwas Ähnliches wie Rippen und das Gerüst des Schiffes. Damit der Seenotrettungskreuzer im Wasser schwimmen kann, muss das Gerüst wasserdicht sein. Dafür bringen die Arbeiter große Platten aus Aluminium an. Und das ist einfacher, wenn der Rumpf falsch herum steht. Wenn alle Platten angebracht sind, verlässt der fest beplankte Kasko seine Helling und Autokrane drehen ihn um.
Der Schiffsrumpf ist fertig verschweißt und das Deckshaus aufgesetzt. Das Aluminium des Neubaus glitzert in den wenigen Sonnenstrahlen des herbstlichen Tages und Weserwasser gluckst am Seenotrettungskreuzer. Gleich bricht er zu seinem ersten Törn auf. Dieser gelingt allerdings nicht aus eigener Kraft. Denn seine Motoren erhält er erst in einigen Wochen im Haupthaus der Werft. Bislang haben die Schiffbauer am Standort Bardenfleth an dem Seenotrettungskreuzer gebaut. Auf dem Wasserweg zieht er jetzt um. Gezogen von einem Schlepper geht es das kurze Stück stromabwärts. Ein erster Vorgeschmack auf das Element, in dem der neue Seenotrettungskreuzer künftig zu Hause sein wird.
Wenn die Arbeiter auf der Werft alle Teile zusammengebaut haben, stellen sie rund um das Schiff ein Gerüst auf. Bevor sie es mit den typischen Seenotretter-Farben lackieren, umhüllen sie das Schiff mit einer Plane. Sie schützt die Farbe vor Eisenstaub und Funkenflug von Schleif- oder Schweißarbeiten an anderen Schiffen in der selben Werfthalle. Hinter der „weißen Wand“ arbeiten die Handwerker außer an der richtigen Farbe auch an einer perfekten Isolierung, an trittfesten Bodenbelägen und an einer schützenden Lackierung für das Unterwasserschiff.
Genauso wie ein Lastwagen, braucht ein Seenotrettungskreuzer einen Motor, um fahren zu können – sogar zwei. Fachleute bauen die beiden Hauptmaschinen mit jeweils gut 2.000 Pferdestärken in den Rumpf ein. Mit 3,8 Tonnen Gewicht wiegt jede der beiden Aggregate so viel wie ein Kleintransporter. Äußerste Präzision ist mehrfach bei den Schiffbauern gefragt: sowohl bei der Bewegung des Hallenkrans und beim Manövrieren der Motoren durch die Montageluke als auch beim Absetzen der Antriebe auf den dafür vorgesehenen Fundamenten im Maschinenraum. Innerhalb von gut anderthalb Stunden gelingt dieser Vorgang bei beiden Motoren. Mit dabei ist oft ein Teil der Besatzung: beim neuen Seenotrettungskreuzer für die Station Cuxhaven beispielsweise der Maschinist Axel Berg. Die Arbeit ist damit aber nicht erledigt – in den folgenden Tagen werden die Maschinen auf dem Getriebe und der Welle zum Propeller millimetergenau ausgerichtet. Erst dann folgt die feste Verbindung mit den Fundamenten.
Bei der Taufe erhält das Schiff seinen Namen. Er wird meistens erst dann verraten. Eine Taufpatin wünscht dem Schiff und der Besatzung „allzeit gute Fahrt und stets eine sichere Heimkehr“. Anschließend lässt sie eine Sektflasche am Rumpf des Schiffes zerplatzen – auch das soll der Besatzung Glück bringen.
Sie sind klein, aber leistungsfähig und seetüchtig wie ihre großen Schwestern: Ohne die Seenotrettungsboote wäre die Arbeit der Seenotretter nicht denkbar. Im Sommer 1971 ging die erste Generation in Dienst. Die eigenständig operierenden Seenotrettungsboote für Freiwilligen-Stationen entwickelte die DGzRS aus den ersten selbstaufrichtenden Tochterbooten. Sozusagen als dauernd abgesetzte Tochterboote entlasten sie seither die Seenotrettungskreuzer, die vor allem die Großschifffahrt sichern. Heute stellen sie zwei Drittel unserer Rettungsflotte.
Was in einem Zeitrafferfilm nicht mal eine Minute dauert, ist in Echtzeit ein Prozess von rund einem Jahr: der Bau eines Seenotrettungsbootes für die DGzRS. Davor entwickeln die Schiffbauer den Schiffstyp, verändern und erweitern bestehende Konstruktionsmerkmale aufgrund der gesammelten Erfahrungen auf See. All dieses fließt in die technischen Zeichnungen ein, anhand derer die Werftarbeiter das Seenotrettungsboot aus vielen einzelnen Aluminiumteilen zusammensetzen. Das Ergebnis: eine gut zehn Meter lange und äußerst seetüchtige Rettungseinheit.
Genauso wie die Seenotrettungskreuzer bauen die Werftarbeiter auch die Seenotrettungsboote zunächst „kieloben“. Die Kiellegung läuft ebenfalls identisch ab: Eine glücksverheißende Münze findet in einer Sektion des Neubaus ihren Platz. Sie soll den Schiffbauern und der Besatzung Sicherheit, Glück und Gesundheit bringen. Bei dem neuen Seenotrettungsboot für die freiwilligen Station Horumersiel hat die Ehefrau des Spenders das Geldstück in eine spezielle Öffnung des Kollisionsschots gelegt.
Es sind Tausende Arbeitsschritte notwendig, bis aus vielen Einzelteilen ein fertiges Seenotrettungsboot werden kann: Vom Bau des Netzspantengerüst und dem Beplatten des Rumpfes über den Innenausbau bis zum Farbanstrich. Die Schiffbauer sind viele Monate beschäftigt, bis der Neubau getauft werden kann.
Wenn das neue Seenotrettungsboot alle Tests bestanden hat, überführen die Seenotretter es zu seiner künftigen Station. Dort absolviert die Besatzung mit dem Neubau viele Übungsfahrten, um sich mit der neuen Technik und dem anderen Seegangsverhalten vertraut zu machen. Denn: Im Ernstfall muss jeder Handgriff sitzen. Und dieser kann schneller kommen als gedacht, weiß auch Thilo Heinze, freiwilliger Vormann der Station Gelting.
Das neue Seenotrettungsboot für die Freiwilligen-Station Timmendorf auf Poel hat beispielsweise Wolfgang Wiese mit einem großzügigen Nachlass finanziert. Seine Schwester hat es an seinem Liegeplatz auf der Ostseeinsel auf seinen Namen getauft.
Die Taufe einer neuen Rettungseinheit ist in der Regel öffentlich. Die Seenotretter freuen sich, wenn zu diesem besonderen Ereignis viele Menschen kommen und damit auch die Arbeit der Besatzungen würdigen.